Warum «ticken» Menschen so verschieden?

Die Basismentalitäten prämodern, modern, postmodern haben ihre Bedeutung für die Gemeindearbeit.

Vor kurzem Vater geworden, mache ich mir Gedanken, in welche Welt hinein unser Kind geboren ist. Unweigerlich vergleiche ich sie mit der Welt meiner Geburt und der meiner Eltern und Grosseltern. Rasante Veränderungen! Die Welt ist ein Dorf geworden, stark vernetzt und hochtechnologisiert. Wir leben in einer Multioptionsgesellschaft. Das prägt unser Denken. Aber nicht alle kommen gleich mit und wollen mit der Zeit denken.

Heinzpeter Hempelmann beschreibt in seinem gleichnamigen Buch drei in unserer Gesellschaft vorkommende Basismentalitäten: prämodern, modern und postmodern. Die Begriffe sind weder wertend noch klar abgrenzend. Sie sollen helfen, den Anderen besser zu verstehen, uns quasi einen «Reim» auf ihn zu machen.

Drei Blickrichtungen

  • Die prämoderne Mentalität ist vor allem traditionsbewusst. Das Frühere ist das Ursprüngliche und damit das Unverfälschte, Richtige und Gute. Der Blick ist in die Vergangenheit gerichtet mit einem Hang zum Absoluten.
  • Die moderne Mentalität ist die Haltung der kritischen Rationalität. Die gegenwärtigen Verhältnisse werden logisch analysiert, um sie zu verbessern.
  • Die postmoderne Mentalität ist bunt, vielfältig und pluralistisch. Jeder darf und soll auf seine Weise glücklich werden, ohne jemandem zu schaden. Um das zu erreichen, denkt er konsequent relativistisch und gibt verbindliche Sicherheiten auf.

Wenden wir die drei Mentalitäten auf das Verständnis von Kirche und Gemeinde an. Für den prämodern denkenden Menschen ist Kirche Heimat und gibt Sicherheit. In ihr wird die unveränderliche Wahrheit bewahrt und nicht dem Zeitgeist unterworfen. Der liturgische Gottesdienst hat sich bewährt und soll bleiben. Es muss darin nicht alles verstanden werden, denn der heilige Gott soll ein Geheimnis bleiben. Viel wichtiger ist, dass die unveränderbare Herrlichkeit Gottes würdevoll gefeiert wird. Dafür zu sorgen hat die Pfarrperson, der Vertrauen zu schenken ist.

Mit der Zeit gehen

Für den modern denkenden Menschen ist Kirche dagegen ein Ort, für den er sich bewusst entschieden hat. Von ihr erwartet er einen ansprechenden, frischen Gottesdienst, die Möglichkeit von interessenabhängiger Mitarbeit und gesellschaftliches Engagement. Dabei muss Kirche «mit der Zeit gehen» und neue Elemente und Formate in das Bewährte einbauen. Die Pfarrperson ist Impulsgeber und steht auf derselben Ebene wie die Gemeindemitglieder.

Beständig ist der Wandel

Für den postmodern denkenden Menschen ist das einzig Beständige der Wandel. Wechselnde Orte, an denen er sich wohlfühlt, sind ihm Kirche. Das kann gerne eine alte Kathedrale sein, aber auch ein Wohnzimmer oder eine Kneipe. Kirche ist für ihn Kirche, wenn sie sich seiner Lebenslage anpasst. Gottesdienst ist dann spannend, wenn er darin vorkommt, einbezogen wird und der Ablauf Optionen bietet. Postmoderne wollen nicht einfach eine halbe Stunde einer Pfarrperson zuhören, sondern sehen ihn als Moderator, der den Dialog leitet und sinnlich erlebbare Handlungen durchführt.

Wie gehen wir nun mit diesen Unterschieden um? Wir sollten anerkennen, dass keine dieser drei Mentalitäten die allein wahre ist. Sie transportieren alle etwas vom Evangelium. Sie sind alle begrenzt, aber begrenzt berechtigt. Daher sollten wir andere Mentalitäten nicht ausgrenzen, sondern versuchen, von ihnen zu lernen. Sie können uns einen neuen Zugang zu Kirche schenken und den eigenen Horizont erweitern.

Dieser Artikel wurde in der Ausgabe 6/2019 von Wort+Wärch abgedruckt.

Der verlorene Sohn (Teil 5: Der gesichtswahrende Plan)

Das ist der fünfte Teil meiner Serie zur Geschichte vom verlorenen Sohn, die Jesus erzählte, um auf das Murren der Pharisäern und Schriftgelehrten einzugehen. Ich werde darin besonders auf die kulturellen Besonderheiten eingehen. Gedanken zur Vorgeschichte und den zwei Geschichten, die Jesus unmittelbar vor der Geschichte vom verlorenen Sohn erzählt hat, habe ich im ersten, zweiten und dritten Teil festgehalten. Im vierten Teil geht es um den Anfang der Geschichte vom verlorenen Sohn. (Wenn ihr auf den unterstrichen Text klickt, gelangt ihr zum entsprechenden Text).  Jetzt folgt die Fortsetzung:

 13 Und nach nicht vielen Tagen brachte der jüngere Sohn alles zusammen und reiste weg in ein fernes Land, und dort vergeudete er sein Vermögen, indem er verschwenderisch lebte.

„Alles zusammenzubringen“ bedeutet wörtlich „alles in Geld verwandeln.“ Es ist außergewöhnlich, dass der jüngere Sohn sein Erbteil in wenigen Tagen verkaufte. Im Nahen Osten wird schon bei kleinsten Transaktionen tagelang verhandelt. Der jüngere Sohn wollte das aber nicht und verkaufte stattdessen um jeden Preis. Die Folge war, dass er seinen Erbanteil billig verkauften musste. Er hat ihn also zu einem Schleuderpreis vertrieben. Der Grund für dieses Verhalten liegt in der Verachtung seinen Tuns durch das Dorf. Keiner hätte sein Verhalten gut geheißen. Und so verließ er eilig seine Heimat und Familie und ließ zerstörte Beziehungen und einen verzweifelnden Vater zurück.

Der Sohn ging mit seiner Entscheidung ein großes Risiko ein. Sollte er sein Geld unter den Heiden verlieren, hätte er niemanden mehr. Er hatte nicht mehr die Möglichkeit nach Hause zu kommen. Keiner würde ihn aufnehmen. Mit Grund dafür ist eine jüdische Sitte Namens „Kezazah“. „Kezazah“  bedeutet das Abschneiden. Würde ein jüdischer Junge sein Erbe unter Heiden vergeuden und dennoch zurückkommen, würde die Dorfgemeinschaft einen großen Tontopf vor ihm zerschmettern und rufen: „Du bist von deinem Volk abgeschnitten.“

Dennoch zog er von dannen in ein fernes Land. Es wird nicht näher beschrieben wohin genau außer, dass er von seinem eigenen Volk weg ging. Er war unter Nichtjuden, denn sie aßen Schweinefleisch (15).

Dort vergeudete er sein Vermögen. Wie er sein Geld verschwendete wird nicht gesagt. Die Auslegungstradition vermutet, dass er es auf unmoralische Art ausgab, doch das bleibt letztlich Spekulation. Was es zeigt, dass er unklug und nicht verantwortungsvoll mit dem Geld umging. Er wird sich neue Freunde gesucht haben. Da Großzügigkeit eine große Tugend ist, wird er versucht haben in seiner neuen Heimat durch große Feste und teure Geschenke Freunde und Status zu gewinnen. Dabei wird er selbst für die kulturellen Verhältnisse mächtig überzogen haben, denn sonst würde sein Handeln nicht als prassen oder vergeuden beschrieben werden.

 14 Als er aber alles verzehrt hatte, kam eine gewaltige Hungersnot über jenes Land, und er selbst fing an, Mangel zu leiden.

Der jüngere Sohn hatte endlich das Leben, dass er sich so ersehnt hatte. Nun konnte er leben wie er wollte. Doch sein neuer Lebensstil hatte eine Schattenseite. Sein Umgang mit Geld war verantwortungslos und maßlos. Er vergeudete nicht nur einen Teil, sondern alles. Anstatt zu investieren und längerfristig zu denken, lebte er für den Moment. Bald schon war alles verzehrt. Zu allem Überfluss kam auch noch eine gewaltige Hungersnot hinzu. Zum für ihn ungünstigen Zeitpunkt musste die Region Not leiden. Hätte er vorher eine solche Hungersnot durch sein Vermögen überbrücken können trifft sie ihn jetzt voll. Zum wahrscheinlich ersten Mal in seinem Leben muss er Mangel leiden. Ein ganz neues Gefühl. Jetzt wird im klar, dass er in einer ganz schwierigen Situation war. Er hatte alles falsch gemacht. Zurückkehren zu seinem Vater bzw. in sein Dorf war keine Option für ihn. Er müsste die Verachtung seines Bruders ertragen. Die Familie lebte nur noch von seinem Vermögen. Er müsste vom Erbe seines Bruders leben. Wie gerne die Familie das mit ihm teilt würde ist klar. Außerdem müsste er sich der Dorfgemeinschaft stellen. Er hatte ihre heiligen Regeln missachten. Hohn und Spott erwarteten ihn und er musste mit dem Kezazah-Ritual rechnen. Daher ist er eher bereit alles zu erdulden, als seinen Stolz aufzugeben und in Demut zu seiner Familie zurückzukehren.

 15 Und er ging hin und hängte sich an einen der Bürger jenes Landes, der schickte ihn auf seine Äcker, Schweine zu hüten.

Weil er nicht zurückkehren wollte musste er sich einem Bürger des Landes anhängen. Die Wortwahl Bürger deutet darauf hin, dass es sich um einen wohlhabenden Mann handelt. Nicht alle Einwohner eines Landes besaßen den Bürger-Titel. Er gehörte zu den Privilegierten des Landes. Dass der jüngere Sohn sich diesem Bürger anhängte, muss nicht heißen, dass dieser ihn freiwillig mit Arbeit versorgte. Dahinter wird eher eine typisch nahöstliche Vorgehensweise liegen. Arbeitslose und/oder arme Menschen bieten sich Reichen häufig auf sehr aufdringliche Weise an. Noch heute kann man das feststellen, z. B. wenn einem das Auto einfach geputzt wird oder Menschen einem folgen, die Taschen aus der Hand reißen, um sie zu tragen. Alle Versuche sie loszuwerden sind vergeblich. Stattdessen erwarten sie für ihre „loyalen und hilfsbereiten Dienste“ ein Entgeld. Sie haben sich quasi an sie „gehängt“. Ähnlich wird es wohl in der Geschichte gewesen sein. Der Bürger des fernen Landes wollte dem Ausländer wahrscheinlich gar nicht helfen und versuchte ihn loszuwerden. Das versuchte er indem er ihm eine Arbeit anbot, die dieser bestimmt ablehnen würde. Auch das ist eine typisch nahöstliche Vorgehensweise. Weil man niemand direkt ablehnen (z. B. kündigen) kann, macht man ihm ein Angebot, das er ablehnen wird. Ein Chef kündigt seinem Angestellten nicht, sondern teilt ihm eine neue Aufgabe zu, die dieser nicht tun wird. So ging auch der reiche Bürger vor, schließlich werden jeden Tag Bettler bei ihm vorbeikommen.

Der Sohn war als Jude bekannt gewesen. Juden verabscheuten Schweine. Sie waren unrein. Im Nahen Osten werden Schweine von Juden wie Moslems bis heute abgelehnt. Deshalb bot der Bürger ihm an Schweine zu hüten. Er rechnete mit einer Absage. Hätte der Sohn nur einen Funken Ehrgefühl gehabt, hätte er das Angebot abgelehnt. Doch zur Überraschung des Mannes wie der Zuhörer der Geschichte nahm der jüngere Sohn diesen Job an und hütete Schweine. Er wird keine modernen Viehwirtschafts vorgefunden haben. Schweine wurden normalerweise nicht als Nahrung gehalten, sondern dienten als dörfliche Mühlabfuhr. Der Sohn war ganz unten angekommen. Ohne Familie und als Ausländer in einem fernen Land, arm, obdachlos und mit knurrendem Magen ging er der erniedrigenden Aufgabe nach.

16 Und er begehrte seinen Bauch zu füllen mit den Schoten, die die Schweine fraßen; und niemand gab ihm. 

Der Tiefpunkt war aber noch nicht erreicht. Die Arbeit gab ihm bei weiten nicht was er erhoffte. Er litt Hunger. So sehr, dass er sehr gerne die Schoten gegessen hätte. Begehren ist ein sehr ausdrucksstarkes Wort (Lk 22,15). Es wird auch für die sexuelle Begierde gebraucht. Er verspürte ein starkes Verlangen nach Schweinefutter. Die für die Hirten übriggelassenen Schweinefleischbrocken wollte er nicht essen. Schweine zu füttern war abstoßend genug.

Der Vers sagt nicht, dass er Schoten aß. Er erwähnt sein Verlangen danach. Letztlich besagt es, dass der Sohn sich wünschte ein Schwein zu sein. Ihnen ging es besser als ihm, denn sie hatten wenigstens zu essen.

In seiner Verzweiflung versuchte er zu betteln. Ohne Erfolg! Niemand gab ihm etwas. Noch versucht er durch Betteln irgendwie über die Runden zu kommen. Noch denkt er nicht darüber nach, nach Hause zu gehen. Der drohende Spießrutenlauf ist keine Option für ihn.

17 Als er aber in sich ging, sprach er: Wie viele Tagelöhner meines Vaters haben Überfluß an Brot, ich aber komme hier um vor Hunger.  18 Ich will mich aufmachen und zu meinem Vater gehen und will zu ihm sagen: Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir,  19 ich bin nicht mehr würdig, dein Sohn zu heißen! Mach mich wie einen deiner Tagelöhner!

In seiner Not ging der Sohn in sich. Er wurde schlau. Das Ergebnis seiner Reflektion ist es nach Hause zu gehen. Sein Plan: Seinen Vater dazu zu bewegen, ihn als Arbeiter anzustellen und ihm dann mit dem verdienten Geld das verprasste Erbe zurückzuzahlen, um wieder Aufnahme in die Dorfgemeinschaft zu bekommen.

Eine entscheidende Frage an dieser Stelle ist: Bereute er seine Tat? Viele Ausleger meinen, dass sein Selbstgespräch seine Reue zeigt. Doch ist dem wirklich so? Ich bezweifle das. In seinem Selbstgespräch ist lediglich von seinem Verlangen nach Essen die Rede. Sein Problem ist sein Hunger und den muss er stillen, denn sonst kommt er um. Alle bisherigen Versuche sind gescheitert. Daher muss er jede Option in Erwägung ziehen. Und da kommt sein Vater wieder ins Spiel. Seine Arbeiter haben genug Brot zum Essen. Brot war das Grundnahrungsmittel. Alle Mahlzeiten bestanden aus Brot. Und davon gab es bei seinem Vater im Überfluss. Brot in Fülle zum Essen zu haben war fast schon ein Luxus, der nur Wenigen vergönnt war. Bei seinem Vater konnte er das bekommen. Ihm geht es nicht um die Beziehung zu ihm. Er will nicht mehr sein Sohn sein. Er will Essen und er will das verlorene Geld zurückzahlen. Scheinbar sieht er keine Möglichkeit im fernen Land einem Beruf nachzugehen, sich ausbilden zu lassen oder selbständig zu machen. Er brauchte jemand, der ihn in seine Arbeiterschaft aufnahm.

Daher fragt er sich, wie er seinen Vater nach allem was passierte dazu zu bringen kann, ihm seine Bitte zu erfüllen. Er denkt an Geld und merkt nicht, dass es dem Vater um die Beziehung geht. Für den Vater ist das übertretene Gesetz nicht das Problem, sondern die durch sein Gehen zerstörte Beziehung. Aufgrund dieses „falschen“ Gedankengangs sucht der Sohn sich eine „Beichte“ auszudenken.

Der erste Satz: „Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir“ klingt reumütig. Doch er ist es nicht. Jesus wählt diesen Satz und konnte erwarten, dass ihn die Pharisäer einordnen können. Er ist eine freie Wiedergabe der Worte des Pharaos nach den ersten neun Plagen (vgl. 2Mo 10,16). Die Pharisäer wusste, dass der Pharao nicht wirklich Reue empfand, sondern versuchte Moses zu manipulieren. Der Sohn hat eine ähnliche Absicht. Er will keine Gnade, sondern eine Arbeit. Deshalb bietet er auch seinem Vater an Tagelöhner zu werden. Er hätte ihm auch anbieten können sein Sklave zu werden. Dann würde er aber kein Geld bekommen und könnte den finanziellen Verlust nicht ausgleichen.

Seine Bitte ein Handwerker zu sein beinhaltet folgende Dinge:

1. Als Handwerker könnte er in einem Nachbardorf mit anderen Handwerker wohnen und nicht bei der Familie. Er könnte sich so zumindest ein wenig seinem Heimatdorf, seinem Bruder und Vater entziehen. Um bei seinem Vater zu wohnen, müsste er seinen älteren Bruder wieder als Bruder annehmen.

2. Er erhoffte sich seinen Verlust wieder gut zumachen. Er zeigte dadurch, dass er bereit ist seinen Fehler auszubügeln und erhoffte sich dadurch Respekt verdienen zu können.

3. Es geht hier um den Unterschied zwischen Kind-Sein und Diener-Sein. Der jüngere Sohn hat es abgelehnt seine Verantwortung als Sohn zu übernehmen, nachdem er sein Erbe bekommen hat. Jetzt will er nicht wieder Sohn werden. Sein Vater soll sein Herr und Meister sein und er kann Knecht sein. Die theologische Frage dahinter ist: Sind wir Diener Gottes oder Kinder Gottes?

4. Er hat noch nicht verstanden, was er eigentlich gemacht hat. Er geht davon aus, dass wenn er das Geld zurückgehalt hat, alles wieder in Ordnung ist. Doch es geht nicht ums Geld, sondern um die Beziehung. Der Sohn versucht nicht die Beziehung wiederherzustellen, sondern den finanziellen Verlust zu beheben.

5. Versöhnung gehört nicht zu seinem Plan. Er will essen und seine „Schulden“ abbezahlen.

Fazit: Er ist immer noch Verloren und kehrt nicht wirklich zurück, denn er will die Knechtschaft und keine Sohnschaft.

Weiter mit dem sechsten Teil geht es hier.

Sollten wir animistischer werden?

Vom 14.01 – 16.01.2011 veranstalteten wir im Rahmen der PIONIERAKADEMIE eine Vorlesung zum Thema ANIMISMUS. Zugegeben ein ungewöhnliches Thema, dass manchen Leser erstmal verwundern wird. Als wir vor über einem Jahr die nächsten Vorlesungen planten und uns darüber unterhielten, was für Themen für unser Studenten dran sein könnten, kamen wir über die Stichpunkte Weltreligionen, unsere westliche Gesellschaft, Herausforderungen und Chancen für das Evangelium zu ANIMISMUS. Warum? Durch die Beschäftigung mit dem genialen Buch von Lothar Käser zum Thema merkten wir wie zentral das Thema auch für unsere Gesellschaft und die Kirchen ist. Und nach der Vorlesung kann ich mutig sagen, dass wir den richtigen „Richer“ hatten.

ANIMISMUS wird schnell mit traditionelle Religionen, Indianern und unterentwickelten Völkern in Verbindung gebracht. Doch damit unterschätzen wir den ANIMISMUS. Der ANIMISMUS ist ein in allen Gesellschaften verbreitetes Weltbild, er bildet die Grundlage von Esotherik, New Age und Okkultismus, er ist die Basis aller Volksreligionen (Volksbuddhismus, Volksislam, Volkshinduismus, Volkskatholizismus) und der Kontext des Volkes Gottes in AT und NT (was glaubte denn Abraham, bevor Gott ihn rief?).

Die Moderne war geprägt von einem säkularen Weltbild. Eine unsichtbare Welt wurde ausgeschlossene. Die Postmoderne, in der wir heute leben, hat ein ganzheitlicheres Weltbild, in der die unsichtbare Welt eine große Rolle spiel. Damit steht sie dem ANIMISMUS nahe. Unsere deutsche Gesellschaft wird Dank der Postmoderne zunehmend animistischer. Das ist eine große Chance für die Verkündigung des Evangeliums.

Als Dozenten konnten wir Hannes Wiher aus der Schweiz gewinnen, der uns alle sehr beeindruckte. Sowohl didaktisch als auch inhaltlich ein Hochgenuss. Mit seiner feinen schweizer Art unterrichtete er uns, wies uns auf wichtige Punkte hin und wurde dabei teilweise sehr persönlich. Vielen Dank Hannes für die großartige Zeit!

 

 

Noch ein paar zentrale Aussagen aus seiner Vorlesung:

  • Die Animisten sind mit ihrem Weltbild näher an der Realität als wir mit unserem meist noch säkularen Weltbild.
  • Immer wenn Religion an Bedeutung verliert, nimmt der Animismus zu.
  • Wenn du das Modell der Scham- und Schuldkultur und den Animismus verstanden hast, dann kannst du alle Menschen auf der ganzen Welt verstehen.
  • Religion + Animismus = Volksreligion
  • Der Animismus kommt nach Europa als Esoterik und New Age.
  • Nach dem Sündenfall entwickelt der Mensch ein kulturell-religiöses System ohne Gott, den Animismus (Gen 4-11).

Kontextualisierung des Evangeliums Teil 4

Hier nun die Fortsetzung meiner Serie meiner Serie zum Thema Kontextualisierung. Zum Teil 1,2 und 3 einfach auf die jeweilige Zahl klicken.

Es wird allgemein akzeptiert, dass wir in eine neue Zeitepoche eingetreten sind (zumindest in der westlichen Welt) – der Postmoderne. Deshalb müssen wir nicht von einer „Reformation“ (Verbesserung des Vorhandenen) ausgehen, sondern von einer „Transformation“ (Umformung). Solch eine neue Zeitepoche berührt in der Regel mit der Zeit alle Lebensbereiche – manche von ihnen stark, manche stärker und teilweise werden Bereiche völlig transformiert. Diese Entwicklung wird hat auch vor der Gemeinde Jesu nicht halt gemacht. Und das fordert uns Christen heraus. Was sind die großen Herausforderungen und Fragen auf die wir als Christen Antworten finden müssen? Wie können oder sollten wir Familie leben? Wie Gemeinde bauen? Wie die Botschaft Gottes verkünden? Wie Christsein an unserem Arbeitsplatz (wenn es den überhaupt noch gibt) leben? usw. Die Postmoderne stellt andere Fragen an die Theologie. Der postmoderne Mensch denkt anders, empfindet anders, legt andere Schwerpunkt, lebt andere Lebenskonzepte usw. Es ist zu überlegen was das für die Verkündigung bedeutet. Damit beschäftigt sich die Kontextualisierung. Da Kultur in einem ständigen Veränderungsprozess ist müssen sich die Fragen der Kontextualiserung immer wieder neu gestellt werden. Veränderung ist nötig. Die Parolen wonach, dass aber schon seit 30 Jahren funktiert, führen in die falsche Richtung.

Kontextualisierung des Evangliums Teil 3

Nun die Weiterführung meiner kleinen Serie zum Thema Kontextualisierung. Die ersten beiden Teile gibt es hier und hier zu lesen. Kontextualisierung ist keine neue Erfindung oder ein neuartiger Gedanken der Theologie, sondern orientiert sich am Vorbild Gottes. Der wichtigste Beleg für die kontextualisierte Selbstoffenbarung Gottes ist die Inkarnation. Indem Gott Mensch wurde und damit die Menschen Gott sehen konnten wurde Gott in einer ganz neuen Weise greifbar, fassbar und verstehbar. Gott bewegt sich auf die Menschen zu. Er zeigt sich auf die verstehbarste Weise der Menschheit. Er lässt sich ganz auf uns ein und wird wie wir. In Christus erkennen wir zum einen wer wir sind (Anthropologie) und wer Gott ist (Theologie). Dabei achtete Jesus auf die Kultur. Er sprach die Sprache der Leute. Er hielt sich an kulturelle Sitten.  Er hat Worte und Beispiele gefunden, die klar waren (bis auf ein paar Ausnahmen). Er hat ermutigt und gelehrt, aber auch konfrontiert und das in verständlicher Art und Weise und so sollen wir es auch tun. Paulus spricht davon den Juden ein Jude geworden zu sein und dem Griechen ein Grieche. Damit wird klar, dass es nicht nur um die geeigneten Worte geht, sondern auch um die kulturellen Besonderheiten, die wichtig sind.

Kontextualisierung ist, wenn das Evangelium verkündigt wird und es aus den richtigen Gründen Anstoß erregt – nicht aus den falschen“ (Frost, Hirsch in Die Zukunft gestalten, S. 148)

Sünde soweit das Auge reicht

Vor einingen Monaten bin ich von den Herausgebern von der sehr genialen Zeitschrift „THE RACE“ angefragt worden zwei Artikel zum Thema Sünde zu schreiben. Das habe ich gerne gemacht und jetzt ist die neue Ausgabe herausgekommen. Jedes Heft hat ein bestimmtes Heftthema und diesesmal, na ratet schön, war das Thema: SÜNDE. Das fand ich ganz schön mutig, sich dieser Thematik zu stellen. Ein ganzes Heft voller Sünde, oder besser gesagt mit Artikel, die dazu einladen über das Thema WEITERzudenken. Dazu will nämlich die Zeitschrift annimieren und so sollen auch meine Artikel veranstanden werden. Ein Blick in das Inhaltsverzeichnis weckt Interesse:

Können Kinder Sünder sein? • Schuldempfinden bei jungen Menschen
Kinder wissen doch noch nicht was Sünde ist. Wirklich? Die Autorin hat es anders erlebt. // Kerstin Hack

Im Dunkeln darf gestohlen werden • Wie Kultur unser Sündenverständnis beeinflusst
Die einen dürfen es – die anderen nicht. Tätowierung, Minirock und Zigaretten – was davon ist Sünde und was hat das Ganze mit Kultur zu tun? // Martin Preisendanz

Was ist Sünde?
Eine Definition zum Einstieg. // Martin Preisendanz

Wenn Vergeben nicht geht • Über Unversöhnlichkeit und ihre Gründe
Wie gehe ich damit um, wenn ich dem anderen nicht vergeben kann? // Ursula Hauer

Bekennt einander eure Sünden • Warum diese Aufforderung Sinn macht
Was soll die Forderung der Bibel, Sünde vor einem anderen zu bekennen, wo ich doch die Sache schnell und unproblematisch allein mit Jesus ausmachen kann? Eine ausführliche Antwort dazu findest du in diesem Artikel. // Markus S. Hoffmann

Hinter Gittern • Wie sehen Straffällige ihre Schuld?
Eine Berliner Pfarrerin berichtet über ihre Erlebnisse als Gefängnisseelsorgerin. // Astrid Eichler

Ein Mann, der Gnade bitter nötig hatte • Über den Risikofaktor Gnade
Der Autor lädt dich dazu ein, der Gnade ins Auge zu schauen. Eine Reise, die riskant, herausfordernd und wunderschön ist. // Harald Sommerfeld

Vergebung unauffindbar • Die Sünde gegen den Heiligen Geist
Viele Christen fürchten sie und viele wissen gar nicht so genau, wie man sie begeht: die Sünde gegen den Heiligen Geist. Hier gibt’s Klarheit. // Robert Schaefer

Mit erhobenem Zeigefinger • Sünde im Spannungsfeld von Gemeinde und Gesellschaft
Was Sünde ist und was nicht, scheint zunächst einfach, entpuppt sich aber bei genauerem Hinsehen als gar nicht mehr so klar. // Günter J. Matthia

Ich habe mich also mit dem spannenden Thema Kultur und Sünde auseinandergesetzt, mit dem schon Jesus konfrontiert war. Schließlich kommen seine Konflikte mit den Pharisäern auch daher, dass sie unterschiedliche Vorstellungen darüber hatten, was sich gehört und was nicht. Was ist denn Sünde? Was sind dagagen gesellschaftliche Tabus, die für uns den Status von Sünde haben? Wie beeinflusst den unsere Sozialisation unser Verständnis von Sünde? Fragen auf die ich versucht habe einzugehen, um zum WEITERzudenken anzuregen. Abonnieren lohnt sich!