Der verlorene Sohn – (Teil 12: Die theologische Bedeutung II)

Nachdem ich in den ersten Teile der Serie versucht habe die Geschichte des verlorenen Sohnes unter Berücksichtigung von kulturellen Aspekte nachzuzeichnen, kommt jetzt eine Zusammenfassung der theologischen Bedeutung des Gleichnisses. Auf welche Bereiche geht Jesus „indirekt“ ein und was will er verdeutlichen? Stark inspiert hat mich dabei ein Buch von Kenneth Bailey. Meine Serie ist eine Buchzusammenfassung angereichert mit eigenen Gedanken.

Freiheit: Gott schenkt dem Menschen eine grundsätzliche Freiheit. Diese Freiheit beinhaltet die Liebe des Vaters abzulehnen und die Beziehung abzubrechen. Der Mensch kann seinen eigenen Wege gehen.

Reue: Das Gleichnis stellt zwei Arten von Reue dar. Einerseits der Versuch als Diener akzeptiert zu werden und andererseits das unverdiente Geschenk des Vaters anzunehmen. Gott will Söhne und keine Diener. Daher beinhaltet wahre Buße immer auch Sohn-werden.

Gnade: Die Geschichte berichtet von zwei Söhnen, die sich von ihrem Vater entfernen. Beiden geht der Vater entgegen, beide werden geliebt, beiden bietet er Versöhnung an, beiden wird unverdiente Gnade geschenkt und doch nimmt nur der jüngere Sohn das Geschenk an. Der Unmoralische erkennt Gottes Gnade und nimmt sie an, der Moralische versteht sie nicht und lehnt wütend ab. Die Botschaft Jesus hat nichts mit drinnen oder draußen zu tun, mit moralisch oder unmoralisch, konservativ oder liberal, religiös oder unreligiös. Das wird gerne verwechselt. Wir teilen die Welt gerne auf. Doch die Botschaft Jesu ist anders: „Jeder ist auf dem falschen Weg. Daher brauchst du meine  Gnade. Ich liebe dich, egal was bisher war. Ich will mich mit dir versöhnen. Nimmst du mein Angebot an?“

Wenn immer wir glauben Gott durch gute Werke gefallen und ihn auf seine Seite ziehen zu wollen machen, wird es im Zorn auf ihn und deine Mitmenschen enden.

Gnade ist freiwillige, unverdiente Liebe von Herzen, die nie aufgibt, sucht, leidet und retten kann.

Freude: Der Vater freut sich, dass er seinen Sohn wieder gefunden hat und der Sohn freut sich über das Gefundenwerden und die Versöhnung.

Gott als Vater: Gott wird als barmherziger Vater dargestellt. Er liebt alle Menschen und will sich mit ihnen versöhnen. Er ist bereit den Preis der Versöhnung zu zahlen.

Mensch als Sohn: Beide Söhne definieren Sohnschaft als Vater-Diener-Verhältnis. Der jüngere Sohn kommt zu seinem Vater und bietet ihm an sein Diener zu sein. Der ältere Sohn beschwert sich darüber, dass der Vater seine makellose Diener-Sein nicht wertschätzt. Der Vater lehnt bei beiden ihre Definition ab und bietet ihnen stattdessen seine kostspielige Vaterliebe an.

Christologie: Der Vater nimmt die Rolle des leidenden Knechtes ein, der seine unerwartete und unverdiente Liebe bei beiden Söhnen demonstriert. Er gibt seine Stellung auf und begegnet ihnen als Diener und bietet ihnen Tischgemeinschaft an.

Ekklesiologie: Wiederherstellung der Beziehung zum Vater bedeutet Eingliederung in die Dorfgemeinschaft. Weil die Beziehung zum Vater wieder in Ordnung ist, wird der Sohn ihm Dorf wieder akzeptiert. Übertragen gilt das für die Gemeinde. Familie und Dorfgemeinschaft ist eine Metapher für die Gemeinde.

Inkarnation: Der Vater verlässt seine Stellung und geht zu seinen Söhnen. Er begegnet ihnen dort wo sie sind. Das ist ein Bild für die Menschwerdung Jesu. Er verlässt die himmlische Gemeinschaft mit seinem Vater und wird Mensch und lässt sich von seinen Mitmenschen sogar hinrichten.

Eschatologie: Das Fest ist ein Bild auf die zukünftige Gemeinschaft in der neunen Welt/Himmel (Neuschöpfung).

Zu den anderen Teilen der Serie geht es hier: Teil 1, Teil 2, Teil 3, Teil 4, Teil 5, Teil 6, Teil 7, Teil 8, Teil 9, Teil 10 und Teil 11.

Der verlorene Sohn – (Teil 11: Die theologische Bedeutung I)

Nachdem ich in den ersten Teile der Serie versucht habe die Geschichte des verlorenen Sohnes unter Berücksichtigung von kulturellen Aspekte nachzuzeichnen, kommt jetzt eine Zusammenfassung der theologischen Bedeutung des Gleichnisses. Auf welche Bereiche geht Jesus „indirekt“ ein und was will er verdeutlichen? Stark inspiert hat mich dabei ein Buch von Kenneth Bailey.

Sünde und Errettung: Das Gleichnis stellt zwei Arten von Sünde dar. Die eine Sünde ist die des Gesetzesbrechen und die andere Sünde ist die des Gesetzeshaltens. Der ältere Sohn ist angepasst und eifrig, während der jüngere Sohn ausbricht und Normen verletzt. Sowohl die Gottlosen (Gesetzesbrecher) als auch die Frommen (Gesetzeshalter) sind geistlich verirrt. Warum? – In beiden Fällen geht es letztlich um die zerstörte Beziehung zum Vater. Beide Lebensarten zerstören die Beziehung, wenn auch die zweite Art die ausgemachten Erwartungen erfüllt.

Viele Menschen betrachten den christlichen Glauben als moralische und religiöse Angelegenheit. Er gilt als Abgrenzung und Bollwerk gegen die unmoralische und säkularisierte Gesellschaft.

Jesus zog u.a. Sünder und Unmoralische an. Von ihm ging eine anziehende Wirkung auf diese Gruppe von Menschen aus. Ist diese Anziehung der Kirche verloren gegangen? Bis auf Ausnahmen ist auf diese Frage leider mit Ja zu antworten. Vielmehr spricht die Kirche Menschen des Typus älterer Sohn an. Das sollte uns ins Nachdenken bringen. Wenn Jesus die Sünder und Unmoralischen angezogen hat und gleichzeitig die Moralischen und Angepassten bei ihm angeeckt sind und es heute genau umgekehrt ist, dann stimmt wohl was nicht.

Die Botschaft Jesus lautet, dass Gottes Liebe jegliche Art von Sünde verzeihen und Versöhnung schenken kann. Selbst die Ungeheuerlichkeiten des jüngeren Sohnes werden vom Vater verziehen und Wiederherstellung der Beziehung gelingt. Damit sollten wir als Christen keine Probleme haben, aber anscheinend ist das schwierig. Warum? Was befürchten wir? Was auch immer unsere Befürchtungen sind, wir sollten wir, dass wenn Gott jemanden aufnimmt auch wir bereit dazu sein sollten. Man stelle sich vor die ersten Christen hätten Paulus nicht aufgenommen…

Jesus stellt durch die zwei Brüder zwei grundlegende Wege dar, die ein Mensch auf der Suche nach Glück und Erfüllung geht. Der ältere Bruder geht den Weg der moralischen Anpassung und der jüngere Bruder den Weg der Selbstverwirklichung. Mit dem älteren Bruder nimmt Jesus Bezug auf die Pharisäer und Schriftgelehrten. Sie lehrten, dass der Mensch durch strikten Gehorsam gegenüber dem Gesetz Gottes zu einem von Gott gesegneten Leben führt und dazu beiträgt das Heil zu erlangen. Gottes Willen steht über den persönlichen Wünschen  und durch dessen Einhaltung wird die Welt zu einem besseren Ort. Der jüngere Bruder steht für die Zöllner und Sünder. Sie sind Menschen, die sich ihre eigene Freiheit nicht nehmen lassen. Sie handeln wie sie es für richtig halten. Steht ihnen zur Umsetzung der persönlichen Freiheit etwas im Weg z. B. Traditionen, Vorurteile, Familienstruktur, werden diese beseitigt. Beide Wege stehen sich direkt entgegen. Jeder sieht im Anderslebenden das Problem. Die „Frommen“ sagen: „Die Unmoralischen sind das Problem! Die haben keine Werte mehr und führen unsere Gesellschaft ins Chaos!“ Während die „Sünder“ entgegnen: „Die Frommen sind das Problem! Mit ihren altertümlichen Einstellungen blockieren sie den Fortschritt in unserer Gesellschaft.“ (Natürlich fallen nicht alle Menschen in diese beiden Kategorien).

In der Geschichte zerstörten beide Lebensarten die Beziehung zum Vater. Beide Richtungen führen in die Irre. Sowohl Selbstverwirklichung also auch Selbsterlösung führen nicht ans Ziel und werden von Jesus als Sünde bezeichnet. Beidem entgegen steht die Beziehung zum Vater. Christ-Sein bedeutet in Beziehung zu Gott zu stehen. Wir denken und handeln ausgehend als Sohn vom Vater Jesus.

Zu den vorherigen Teilen der Serie geht es hier: Teil 1, Teil 2, Teil 3, Teil 4, Teil 5, Teil 6, Teil 7, Teil 8, Teil 9 und Teil 10.

Der verlorene Sohn (Teil 9: Das offene Ende)

Nach dem heftigen Wutausbruch seines Sohnes sind wir gespannt auf die Reaktion des Vaters. Wie wird er reagieren? Wie wird er mit seinem Sohn umgehen? Zu den vorherigen Teilen der Serie geht es hier: Teil 1, Teil 2, Teil 3, Teil 4, Teil 5, Teil 6, Teil 7 und Teil 8.

31 Er aber sprach zu ihm: Kind, du bist allezeit bei mir, und alles, was mein ist, ist dein.  32 Aber man mußte doch jetzt fröhlich sein und sich freuen; denn dieser dein Bruder war tot und ist wieder lebendig geworden und verloren und ist gefunden worden.

Die Antwort des Vaters auf die Vorwürfe und die innere Haltung seines Sohnes überraschen wieder. Normalerweise hätte ein Patriarch seinen Sohn angeschrien und sich später der Sache angenommen. Ganz anders der Vater. Er übersieht den fehlenden Respekt, den Vorwurf, die Bitterkeit und den Hass seines ältesten Sohnes und verurteilt ihn nicht. Stattdessen spricht er ihn liebevoll an. „Mein Sohn“ oder „Kind“ ist eine herzliche Anrede. Sie unterscheidet sich von allen anderen Anreden in der Geschichte. Der Vater gebraucht nicht das eigentliche Wort für Sohn, sondern benutzt eine besonders liebevolle, herzliche Anrede. Diese Anrede benutzt der Vater nicht mal als der jüngere Sohn zurück kommt.

In seiner Antwort versucht der Vater sich zu erklären und seine Freude zu verteidigen. Zudem erinnert er den älteren Sohn an die Verloreneheit seines Bruders.

Der Vater muss sich erklären. Er muss seine Freude verständlich machen. Wie traurig und unnatürlich! Weder der Hirte aus der ersten Geschichte noch die Frau aus der zweiten Geschichte müssen das tun. Ihre Freude konnten alle nachvollziehen. Doch in diesem Fall muss der Vater seinem Sohn (den Pharisäern) seine Freude vermitteln, die doch völlig verständlich ist.

Die Geschichte hat ein offenes Ende. Wir erfahren nicht wie der älteste Sohn auf die Antwort des Vaters reagiert. Die drei Geschichten enden mit dieser Szene.

Die Antwort steht aus. Jesus lässt sie bewusst offen. Er verkörpert die Person des Vaters. Die Pharisäer nehmen die Rolle des ältesten Sohnes ein, während der jüngere Sohn für die Sünder steht. Die Ausgangsbeschuldigung der Pharisäer und Schriftgelehrten an Jesus war, dass er die Sünder aufnimmt und mit ihnen isst (1). Und nun antwortet Jesus ihnen: „Das ist meine Erklärung. Diese eure Brüder waren tot und sind wieder lebendig geworden und verloren und sind gefunden worden.“ Und schließt indirekt die Frage an: „Was werdet ihr jetzt mit mir machen?“ Jeder Zuhörer (und jeder Leser) wird von ihm aufgefordert, diese Frage selbst zu beantworten.

Der verlorene Sohn (Teil 6: Die erschütternde Begegnung)

Hier kommt der sechste Teil meiner Serie von Jesu Geschichte über den verlorenen Sohn.  Um zu den vorherigenen Teile zu gelangen, einfach auf die jeweilige Zahl klicken. Teil 1, 2, 3, 4 und 5

20 Und er machte sich auf und ging zu seinem Vater. Als er aber noch fern war, sah ihn sein Vater und wurde innerlich bewegt und lief hin und fiel ihm um seinen Hals und küßte ihn.

Mit einem klaren Plan macht sich der Sohn auf den Weg zurück in sein Heimatdorf. Ihm war klar, was auf ihn zukommen würde. Sein Vater würde im Haus bleiben, während er den bösen Blicken und Kommentaren der Dorfbewohner ausgesetzt ist. Sobald sie herausfinden, dass er sein Geld bei den Heiden verloren hat, werden sie das Kezazah-Ritual durchführen. Er muss dann an einem Pranger vor dem Tor des Familienanwesens sitzen, bis ihn der Vater zu sich lässt. Sein Vater wird sehr zornig werden und er muss sich für alles entschuldigen und inbrünstig darum bitten ein Tagelöhner zu werden.

Doch nichts davon geschieht. In der Dorfgemeinschaft werden Entscheidungen normalerweise immer gemeinsam getroffen. Dafür wird lange diskutiert und erst wenn ein Kompromiss gefunden wurde, wird die Entscheidung verkündigt und tritt in Kraft. Normalerweise wären die Dorfältesten zusammengekommen und hätte über das Schicksal des heimgekehrten Sohnes beraten und entschieden. Der Vater verhält sich entgegen der kulturellen Norm. Als er ihm entgegen läuft, um sich mit seinem Sohn zu versöhnen, bricht er alle Regeln der orientalischen Gesellschaft.

Als der Vater seinen Sohn sieht macht er vier Dinge. Er wurde innerlich bewegt, er lief ihm entgegen, fiel ihm um den Hals und küsste ihn. Was sagt uns diese Vorgehensweise? Dass der Vater innerlich bewegt war klingt für uns ganz nett. Was hier mit „innerlich bewegt“ wiedergegeben wird, heißt im griechischen Urtext „esplanchnisthe“. In diesem Zeitwort steckt das Hauptwort „splanchnon“. Es bezeichnet „die Eingeweide“, „das Innere des Bauches“, auch „das Herz“. „Splanchnizomai“ bedeutet wörtlich „etwas berührt, bewegt, ergreift mich in meinen Eingeweiden, in meinem Inneren“, „etwas geht mir zu Herzen“, „etwas lässt mich nicht kalt“. Als der Vater seinen Sohn sah, ging im das zu Herzen. Es löste in ihm ein sehr starkes körperliches Gefühl aus. Für den Hebräer ist der Bauch der Sitz von zärtlichen Gefühlen. Bei uns ist der Bauch auch der Sitz von Wut (z. B. ich habe Wut im Bauch).

Als zweites läuft der Vater ihm entgegen. Beim Wort laufen handelt es sich um einen Begriff aus dem Sport und bedeutet „rennen“. Der Vater geht seinem Sohn nicht normal entgegen, sondern wie ein Wettkampfsportler rennt er ihm so schnell er kann entgegen. Im Nahen Osten würde ein älterer Mann in seiner Position niemals rennen, sondern langsam und würdevoll gehen. Aber der Vater rennt. Dazu muss er sein langes Gewand vorne in die Hand nehmen und anheben. Dadurch werden seine Beine sichtbar, was als demütigend gilt. Doch dem Vater ist diese Schande egal. Ihm macht es nichts aus sich öffentlich zu blamieren. Er weiß was seinem Sohn im Dorf blüht und das will er ihm aus Mitleid und Liebe ersparen.

Die Vorgehensweise des Vaters, der sein Haus verlässt und sich auf dem Weg zu seinem Sohn öffentlich demütigt ist ein Bild für die Menschwerdung Gottes. Jesus verlässt die Herrlichkeit des Himmels und kommt auf die Erde, um dort sich von den Menschen richten zu lassen.

Als der Vater zu seinen Sohn rennt wird er nicht allein gewesen sein. Seine Diener begleiteten ihn (22) und auch das halbe Dorf wird neugierig ihm gefolgt sein. Das Gespräch des Vaters mit seinem Sohn findet nicht unter vier Augen statt. Jedes gesprochene Wort wird sich in Windeseile im ganzen Dorf herumgesprochen haben. Das Handeln des Vaters stellt einen dramatischen Versöhnungsversuch dar. Niemand im Dorf darf ihn danach weiter ablehnen.

Nachdem der Vater seinen Sohn erreicht hat fällt er ihm um den Hals und küsste ihn. Das ist eine gängige Begrüßungs- und Abschiedsform. Während der Sohn sich  von seinem Vater nicht angemessen verabschiedet hat (wie auch), begrüßt der Vater ihn ganz natürlich. Mit dieser Reaktion zeigt der Vater seinen Sohn seine Liebe und auch seinen Schmerz. Wäre ihm die Entfremdung seines Sohnes egal gewesen oder hätte er sie verdrängt, dann wäre seine Reaktion anders, nämlich kühl, abwartend oder rächend gewesen.

21 Der Sohn aber sprach zu ihm: Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir, ich bin nicht mehr würdig, dein Sohn zu heißen.

Der Sohn ist von der Reaktion seines Vaters mehr als überrascht und völlig fassungslos. Er ist „geplättet“ und geschockt. Er wird konfrontiert mit der Liebe seines Vaters nach allem was er ihm angetan hat. Das führt zu einem Umdenken. Seine festgelegte Strategie der Manipulation wird verworfen. Er unterbreitet dem Vater keinen Lösungsvorschlag, sondern lässt sich umarmen. Völlig überwältig macht er sich abhängig von der Gnade seines Vaters: „ich bin nicht mehr würdig, dein Sohn zu heißen.“ In den Armen seines Vaters erkennt er, dass es seinem Vater nie um Geld ging, sondern um die Beziehung. Ihm wurde klar, dass er etwas viel schlimmeres getan hat als seinen Erbteil bei den Heiden zu verprassen. Er hat sich von seinem Vater getrennt. Er hat ein autonomes Leben begonnen und dadurch das bedeutendste im Leben verspielt – seine Beziehung zum Vater. Nun lässt er sich wie das Schaf (erste Geschichte) einfach finden und begibt sich ganz in die Hände seines Vaters. Plötzlich weiß er nicht mehr wie er aus der Nummer herauskommt und hofft ganz auf dem Vater.

22 Der Vater aber sprach zu seinen Sklaven: Bringt schnell das beste Gewand heraus und zieht es ihm an und tut einen Ring an seine Hand und Sandalen an seine Füße;  23 und bringt das gemästete Kalb her und schlachtet es, und lasst uns essen und fröhlich sein!  24 Denn dieser mein Sohn war tot und ist wieder lebendig geworden, war verloren und ist gefunden worden. Und sie fingen an, fröhlich zu sein.

Als der Vater merkt, dass sein Sohn keine Ahnung hat wie er die zerbrochene Beziehung wie heilen kann, ordnet er eine Feier an. Genau wie bei den beiden Geschichten zuvor wird der „Fund“ gefeiert.

Der Vater wendet sich an seine Diner mit der Bitte entsprechende Kleider für den Sohn zu bringen. Sein Sohn muss sich nicht selbst um angemessene Kleider kümmern. Indem die Diener das erledigen müssen, sollen sie ihm Ehre erweisen.

Das beste Gewand ist das prächtigste Kleidungsstück des Vaters. Der Sohn wird im elegantesten Gewand auf der Feier erscheinen und dadurch herausstechen. Jeder wird im deshalb mit Respekt begegnen. Jemanden mit nobler Kleidung auszustatten bedeutet immer ihn zu ehren (vgl. Ester 6,1-9).

Bei dem geschenkten Ring wird es sich höchstwahrscheinlich um einen Siegelring handeln. Mit einem solchen Ring werden offizielle Dokument unterschrieben. Damit bekommt der Sohn trotz seiner Vorgeschichte wieder Verantwortung übertragen. Dem älteren Sohn wird das mächtig gegen den Strich gegangen sein, denn er bekam gewisse Vollmacht über den restlichen Familienbesitz.

Auch die Schuhe sind Zeichen einer neuen Stellung. Sklaven gehen barfuß. Jeder im Dorf soll nicht nur hören, sondern sehen, dass Vater und Sohn sich versöhnt haben.

Danach wird ein großes Dorffest veranstaltet. Dafür wird ein gemästetes Kalb geschlachtet. Der Vater lässt das beste Fleisch servieren. Fleisch ist eine Delikatesse und zugleich ein Luxus, den die Dorfbewohner sich nicht oft gönnen konnten.

Mit all diesen Schritten versöhnt der Vater seinen Sohn mit seiner Umgebung. Zuerst mit sich, dann mit den Dienern und schließlich mit dem ganzen Dorf. Die Dorfältesten werden ihn aus Loyalität zu seinem Vater wieder annehmen und als vollwertiges Mitglied des Dorfes aufnehmen. Allerdings gibt es noch einen schwierigen Fall zu lösen. Wie wird er Ältere, der noch auf dem Feld ist, reagieren?

Wie wird der jüngere Sohn sich in Zukunft verhalten? Nach dem was geschehen ist wird er weder eine Strafe befürchten noch die Erwartung auf eine Belohnung ihn antreiben. Er hat bekommen, was er nicht verdient. Er war ganz unten ist wieder oben. Er ist von seinem Vater aus dem „Dreck“ gezogen worden und darüber so glücklich, dass er seinem Vater für immer dankbar sein wird. Dankbarkeit ist sein Antrieb nicht der Wunsch nach Anerkennung oder die Angst bestraft zu werden. Warum? Mehr Anerkennung kann er nicht mehr bekommen und hätte sein Vater ihn bestrafen wollen, hätte er längst allen Grund dafür gehabt.

Der verlorene Sohn (Teil 3: Die verlorene Münze)

Das ist der dritte Teilo meiner Serie über die Geschichte vom verlorenen Sohn.  Zum ersten Teil auf HIER klicken und zum zweiten Teil gelangen sie, wenn sie auf DORT klicken.

Die zweite Geschichte

 8 Oder welche Frau, die zehn Drachmen hat, zündet nicht, wenn sie eine Drachme verliert, eine Lampe an und kehrt das Haus und sucht sorgfältig, bis sie sie findet?  9 Und wenn sie sie gefunden hat, ruft sie die Freundinnen und Nachbarinnen zusammen und spricht: Freut euch mit mir! Denn ich habe die Drachme gefunden, die ich verloren hatte.  10 So, sage ich euch, ist Freude vor den Engeln Gottes über einen Sünder, der Buße tut.“

In der zweiten Geschichte geht es um eine Frau die eine Silbermünze verloren hat. Wieder geht es um verlieren, suchen und finden. Erstaunlich ist, dass Jesus in dieser Geschichte eine Frau zur Protagonisten macht. Wenn Jesus der gute Hirte ist, dann ist Jesus auch die gute Frau. Die Zuhörer sollten diese Schlussfolgerung ziehen. Der Mensch ist als Mann und Frau Gottes Ebenbild. Gott vereint weibliche und männliche Attribute. Daher kann Jesus sich als Frau sehen.

Diese Frau besitzt zehn Münzen. Es handelt sich vermutlich um eine Drachme, eine 4,3 Gramm schwere silberne griechische Münze. Ein solche Münze ist der gängige Tageslohn eines Arbeiters.

Es gibt zwei Möglichkeiten in Bezug auf den kulturellen Hintergrund der Geschichte. Eine Möglichkeit ist, dass die Frau die Münzen an einer Kette um den Hals trug. Dieser Schmuck wird als „Frauenbank“ bezeichnet. Es ist ihr weltlicher Besitz und ihre finanzielle Sicherheit, wenn der Mann sich von ihr schieden lässt oder stirbt. Eine dieser Münzen wäre dann abgefallen und sie hätte ein Teil ihrer Notfallversorgung verloren. Die zweite Möglichkeit scheint mir aber wahrscheinlicher. Bäuerliche Frauen trugen ihr Münzgeld in einem fest geknoteten Lappen bei sich. Damit konnten sie Essen besorgen und für den Unterhalt der Familie sorgen. Die Höhe der Summe deutet darauf hin, dass das Geld für eine längere Zeit (1-2 Wochen) reichen musste. Der Knoten hatte sich wohl gelöst und eine Münze ist herausgefallen. Eine Unachtsamkeit, für die die Frau selbst verantwortlich war. Sie hatte den Knoten nicht fest genug zugebunden.

Die Dorfhäuser in der Gegend Galiläa bestanden normalerweise aus Kalkpflaster oder aus glatten, ungehauenen Steinen aus schwarzem Basalt. Bei solchen Materialien entstanden mit der Zeit Risse im Boden, in die das Geld leicht fallen konnte. Das erschwerte die Suche natürlich. Hinzu kam, dass die Wände aus tiefschwarzem Basalt bestanden, die die Räume sehr dunkel machten. Auch durch die engen Fenster kam wenig Licht in die Wohnung. Daher musste die Frau ihre Lampe anzünden.

Und so suchte die Frau voller Energie in ihrem Haus nach der einen Münze. Sie wird sich sicher gewesen sein, dass sie die Münze nur im Haus verloren haben konnte. Das Bild vom Haus wählt Jesus mit gutem Grund. Die verlorene Münze steht für die verlorenen Sünder. Und sie gehören genauso zum Haus Gottes. Sie waren/sind Teil des Reichtums Gottes und sie konnte wiedergefunden werden. Wenn Jesu Kritiker auch suchen würden, könnten sie sie wieder zurückbringen. Stattdessen wenden sie sich verächtlich von ihnen ab.

Die Frau kann für den Verlust ihres Geldes mehr verantwortlich gemacht werden als der Hirte für das Verschwinden des Schafes. 100 Schafe im unwegsamen Gelände zu überblicken ist eine weitaus schwierigere Aufgabe als auf einen zusammengeknoteten Lappen aufzupassen. Die Frau hat dagegen keine Ausrede. Sie hat es verbockt. Wahrscheinlich hat sie sich selbst Vorwürfe gemacht: Wie konnte mir das passieren? Warum war ich unachtsam? Daher übernimmt die Frau auch die volle Verantwortung. Während der Hirte indirekt spricht: „mein Schaf, dass verloren war“ (6), spricht die Frau ganz offen über ihren Fehler: „ich habe die Drachme gefunden, die ich verloren hatte“ (9).

Wie der Hirte rief auch die Frau ihre Nachbarn und Freunde zusammen, um den Fund zu feiern. Auch hier kommen die kulturellen Sitten zum Vorschein. Die Frau feiert mit Frauen, während der Hirte mit Männern feiert. Nach den kulturellen Sitten wäre es für beide unangebracht gewesen mit dem jeweilig anderen Geschlecht zu feiern. Für die Frau war die wiedergefundene Münze ein Grund zu feiern. Einen ganzen Arbeitslohn aufgrund einer Dummheit zu verlieren war ein echtes Ärgernis. Die Freude bei ihr ist sehr verständlich. Und ist es nicht schön „Siege“ zu feiern? Ja, ähnlich wird es auch bei einem Zöllner sein, der zu Gott findet. Es löst große Freude aus, die in einer Feier ihren Ausdruck findet.

Buße ist auch in dieser Geschichte ein sich findenlassen. Das Schaf konnte aufgrund seines mangelnden Orientierungssinn nicht zurückfinden oder zumindest war es fast ausgeschlossen. Während das Schaf sich irgendwie fortbewegen konnte, lag die Münze einfach herum. Hätte die Frau nicht gesucht, würde die Münze noch immer unentdeckt irgendwo im Haus liegen. Vielleicht würde sie irgendwann ein Archäologe finden, aber dann auch nur, weil er Sucher ist. Gott ist ein Sucher! Er sucht, um zu finden und zurückzuholen. Und Gott liebt die Party. Für jeden Gefundenen schmeißt er eine Sause.

Das war die zweite Geschichte. Ihr findet sich eine zweifache Steigerung, die in der dritten und letzten Geschichte nochmals getoppt wird. In der ersten Geschichte ist das Verhältnis des Verlustes 1:100. In der zweiten Geschichte dann schon 10:1 und in der dritten Geschichte handelt es sich um einen von zwei. Die zweite Steigerung bezieht sich auf den Ort. In der ersten Geschichte befindet sich das verlorene Schaf in der Wüste. Die verlorene Münze befindet sich irgendwo im eigenen Haus. Die beiden Söhne in der dritten Geschichte sind verloren, weil sie aus dem Einflussbereich der Liebe des Vaters getreten sind.

Zur dritten Geschichte, der Geschichte vom verlorenen Sohn, und damit den nächsten Teil der Serie geht es HIER.

Der verlorene Sohn (Teil 2: Das verlorene Schaf)

Um die Geschichte des verlorenen Sohnes zu verstehen müssen wir den Kontext uns anschauen. Bevor Jesus zu dieser Geschichte kommt, erzählt er zwei andere Geschichten. Alle drei geschichten gehören zusammen. Darüber wer die Adressaten diese Geschichten sind und warum habe ich im ersten Teil geschrieben. Dazu einfach auf HIER klicken.

Die erste Geschichte

3 Er sprach aber zu ihnen dieses Gleichnis und sagte:

Hinein in diese Situation erzählt Jesus dieses Gleichnis (EZ). Das Gleichnis besteht aus drei Geschichten, die eine Einheit bilden. Wem erzählt er das Gleichnis? Mit „ihnen“ (3) sind eindeutig die murrenden Schriftgelehrten und Pharisäer gemeint. Damit ist das Gleichnis an eine ganz bestimmte Gruppe von Menschen gerichtet. An Menschen, die sich daran störten, dass Jesus in Beziehung mit den Ausgestoßenen der Gesellschaft lebte.

 4 Welcher Mensch unter euch, der hundert Schafe hat und eins von ihnen verloren hat, lässt nicht die neunundneunzig in der Wüste und geht dem verlorenen nach, bis er es findet?

Jesus nimmt ein Beispiel aus der Landwirtschaft. Die Pharisäer verdienten ihren Lebensunterhalt durch normale Arbeit. Das wurde von ihnen erwartet. Wer die Tora unterrichtete, durfte sich dafür nicht bezahlt lassen. Daher konnte Jesus die Pharisäer als Arbeiter ansprechen. Allerdings werden sie kaum Hirten gewesen sein, denn diese galten als unrein. Die Hirten waren normalerweise arme Männer, die ein Leben voller Entbehrungen führten. Möglich dagegen ist, dass sie Schafe besaßen. Doch sie hätten sich nicht selbst um sie gekümmert, sondern Hirten angestellt. Kein Gelehrter würde seinen Tag damit verbringen mit den Schafen durch die Gegend zu ziehen. Von daher war die Frage Jesu ungewöhnlich, denn aus Sicht der Pharisäer hätte sie eher lauten müssen: Wenn ein Herr von seinen Hirten erfuhr, dass ein Schaf verloren ging, dann hätte er den zuständigen Hirten losgeschickt, dass Schaf zu suchen.

Jesus verwendet in seiner Eingangsfrage die interessante Formulierung: „wenn er eines von ihnen verliert.“ Damit missachtet Jesus die normale indirekte Sprachgewohnheit seiner Zeit. Normalerweise gibt man sich die Schuld nie selbst und hätte formuliert: „wenn ein Schaf sich verlaufen hat“ oder „wenn ein Schaf verloren gegangen ist.“ Jesus dagegen spricht den Hirten direkt an und nimmt keine Rücksicht auf sein Ehrempfinden. Diese Abweichung ist wichtig. Letztlich sagt Jesus zu den Pharisäern: „Ihr habt euer Schaf verloren. Ich habe es gesucht und gefunden. Und jetzt kommt ihr  zu mir und beklagt euch. Was für eine Unverschämtheit! Schließlich bringe ich eure Fehler in Ordnung.“

Hundert Schafe zu besitzen ist ein beachtlicher Reichtum. War es nun vernünftig 99 Schafe zurückzulassen und das eine zu suchen? Die Frage dahinter ist was mehr zählt: der Eine oder das Kollektiv? Der Hirte entscheidet sich das eine Schaf zu suchen. Damit signalisiert er die Sicherheit von jedem Einzelnen: Du zählst! Hätte der Hirte auf das eine Schaf verzichtet, wäre jedem Schaf „bewusst“ gewesen, dass auch es im Zweifelsfall verloren wäre. Wenn jedoch der Hirte keine Mühen scheute das einzelne Schaf zu suchen, dann beinhaltet das größtmögliche Sicherheit.

Die Suche konnte mehrere Tage dauern. Die zerklüftete Wüste ist ein unwegsames Gelände und erschwert die Suche.

 5 Und wenn er es gefunden hat, so legt er es mit Freuden auf seine Schultern;

Nachdem der Hirte sein Schaf wiedergefunden hatte, legte er es über beide Schultern. Der Bauch des Tieres wurde gegen den Nacken gedrückt und die vier Beine vor dem Gesicht zusammen gebunden. Mit dieser Technik trugen die Hirten des Nahen Ostens ihre Schafe. So hatten sie das Tier voll unter Kontrolle und noch eine Hand frei zum Klettern.

Als der Hirte sein Schaf gefunden hatte, lag der schwerste Teil seiner Arbeit noch vor ihm. Er musste das schwere Tier durch abgeschiedenes unwegsames Gelände zur Herde tragen. Das war eine extrem anstrengende Arbeit. Es wäre mehr als verständlich, wenn der Hirt geflucht hätte oder gar gehofft, dass das Tier schon tot wäre. Doch der Hirte trägt das Tier mit Freuden (5). Ein tolles Bild über den guten Hirten Jesus, dem keine Last zu schwer ist, ein wiedergefundenes  Schaf zurück zur Herde zu führen. Mit Freude nimmt er diese Mühen und Schmerzen auf sich.

 6 und wenn er nach Hause kommt, ruft er die Freunde und die Nachbarn zusammen und spricht zu ihnen: Freut euch mit mir! Denn ich habe mein Schaf gefunden, das verloren war.

Zur der damaligen Zeit spielte die Großfamilie ein ganz andere Rolle als in unserer Zeit. Eine Familie lebte normalerweise als Großfamilie in einem Dorf zusammen. Der Zusammenhalt war groß und aus wirtschaftlichen Gründen auch nötig. Daher betraf der Verlust eines Schafes immer auch die gesamte Dorfgemeinschaft. Deshalb freute man sich gemeinsam, wenn ein verlorenes Schaf wieder gefunden und nach Hause gebracht werden konnte.

Genauso ist ein verlorener Mensch ein Verlust für die Familie Gottes. Wenn jemand verloren geht, sollte sie Gemeinschaft trauern. Und der Hirte, der das verlorene „Schaf“ zurückbringt, sollte als Held gefeiert werden.

Die Pharisäer waren als religiöse Führer die „Hirten Israels.“ Deshalb ist es verständlich, warum Jesus sie verantwortlich macht, wenn ein Schaf aus der Herde verloren geht.

Zusammenfassend macht der Hirte vier Dinge:

  • Er übernimmt Verantwortung für den Verlust
  • Er sucht nach dem Schaf ohne auf die Kosten zu achten
  • Er trägt das Schaf trotz der Mühen mit Freude heim
  • Er freut sich mit der Gemeinschaft über den Erfolg seiner Mission

 7 Ich sage euch: So wird Freude im Himmel sein über einen Sünder, der Buße tut, mehr als über neunundneunzig Gerechte, die die Buße nicht nötig haben.

Mit diesem Satz schließt Jesus die erste Geschichte ab. Damit zeigte er seinen Humor, denn es gibt keine „Gerechten“, die der Buße nicht bedürfen. Daher kann die Freude im Himmel auch nur minimal sein. Jesu Absicht mit dieser Aussage war es die Pharisäer an zwei Bibelstellen zu erinnern. In Jesaja 53,6 steht: „Wir gingen in die Irre wie Schafe“ und in Prediger 7,20: „Denn es ist kein Mensch so gerecht auf Erden, dass er nur Gutes tue und nicht sündige.“

Mit dieser Aussage erklärt Jesus auch die Bedeutung der Geschichte. Das verlorene Schaf steht für den reumütigen Sünder. Das hätte der Hörer nicht unbedingt erwartet oder doch? Das Schaf steht für Reue. Was will Jesus über Reue sagen? Reue hat etwas damit zu tun sich finden zulassen. Das Schaf ist verlorengegangen und hatte keine Überlebenschance mehr. Es kann nicht mehr tun außer zu hoffen, dass der Hirte es findet. Das Schaf, dass sich findet lässt wird zum Symbol für Reue. Reue ist keine Tat, durch die wir unsere Rettung verdienen. Der Sünder lässt sich finden und Heim bringen. Das ist Reue.

Im nächsten Teil geht es um die zweiten Geschichten in der Triologie. Ihr Titel lautet: Die verlorene Münze.

Der verlorene Sohn (Teil 1: Die Vorgeschichte)

Mit dem heutigen Beitrag werde ich eine kleine Serie über das Gleichnis vom verlorenen Sohn starten. Inspiriert hat mich dazu ein geniales Buch von Kenneth E. Bailey.  Ich werde hier seine Gedanken mit einbringen.

Die Vorgeschichte

Lukas 15:1-3  „Es nahten sich aber zu ihm alle Zöllner und Sünder, ihn zu hören;  2 und die Pharisäer und die Schriftgelehrten murrten und sprachen: Dieser nimmt Sünder auf und isst mit ihnen. 

Jesus ist auf dem Weg nach Jerusalem. Dort wird er am Kreuz sterben müssen. Das war Jesus bewusst. Auf seinem Weg kommt es wieder einmal zu einer Konfrontation mit dem religiösen Establisment. Sie fühlen sich von ihm bedroht. Jesus reagiert auf ihr Murren, indem er drei Gleichnisse erzählt. Diese bauen aufeinander auf und finden ihren Höhepunkt im Verhalten des älteren Sohnes. Wie wird er auf die Bitte der Versöhnung reagieren? Doch erstmal der Reihe nach. Die Zuhörerschaft Jesu bestand aus Pharisäern und Schriftgelehrten. Der Name Pharisäer bedeutet „Abgesonderte bzw. der sich absondert.“ Diese Bedeutung charakterisiert ihr Selbstverständnis als Bewahrer des Judentums und ihr Bemühen ein reines, heiliges Leben zu führen. Gleichzeitig wird es von ihren Gegnern als Schimpfwort für ihre Weltfremdheit und Ablehnung allem weltlichen gewählt. Der Pharisäismus wurde zu einer Bewegung innerhalb des Judentums, der allen Kreisen des Volkes offen stand. Mit ihrer Idee, der Verwirklichung des Gesetzes im Alltag, erreichten sie alle Schichten. Die Schriftgelehrten waren im Gegensatz zu den Pharisäern keine Laiengruppe, sondern ausgebildete Toragelehrte. Manche Schriftgelehrte gehörten zur Partei oder Gruppe der Pharisäer, manche nicht. Die Schriftgelehrten waren eine Art Zunft. Nur der voll ausgebildete Gelehrtenschüler inklusive Ordination gehörte als berechtigtes Mitglied zu ihnen. Sie galten als Kenner des göttlichen Willens, den sie lehrend, richtend und predigend verkündigten. Die Beschwerde der Schriftgelehrten und Pharisäer an Jesus war, dass er die Sünder annimmt und mit ihnen isst (2). Drei Gruppen sind an diesem Konflikt beteiligt: Jesus, die Religiösen (Pharisäer und Schriftgelehrten) und die Nicht-Religiösen (Sünder). Jede dieser drei Gruppen taucht dann in jedem der drei Gleichnisse auf. Im ersten Gleichnis geht es um Tiere, im zweiten um Münzen und im dritten um Menschen.

Zur Zeit Jesu galten die Zöllner allgemein als Sünder. Sie wurden von der Bevölkerung gehasst, denn sie kooperierten mit der römischen Besatzungsmacht. Die römische Besatzungsmacht teilte das eingenommene Territorium in Gebiete ein und verpachtete es an Steuereintreiber weiter, um Steuern einzutreiben. Eine Einzelperson konnte also von der Besatzungsmacht das Recht pachten, in einem bestimmten Gebiet Steuern einzutreiben. Um das Geschäft mit den Steuern für Pächter lukrativ zu gestalten, durften die Pächter den Steuersatz selbst festlegen und eintreiben, was einzutreiben war. Sie mussten aber  einen festen Betrag an die römische Besatzung abtreten. Der Rest gehörte ihnen. Die „Steuerpächter“ waren in der Regel Nichtjuden. Um ihre Aufgabe zu erledigen, stellten sie zusätzliche Personen aus der Bevölkerung ein. Es liegt auf der Hand das es bei diesem System viele Schieberein gab und der Korruption Tür und Tor geöffnet wurde.

Der Unmut der Bevölkerung über die Willkür der Steuereintreiber war mehr als verständlich. Hinzu kam, dass die Bevölkerung allgemein darunter litt von einer starken Besatzungsmacht besetzt zu sein. Meist entwickelt sich in solch einer Situation ein starker Nationalismus und Kollaborateure, wie sie die Zöllner waren, wurden gehasst. Noch heute gilt es in der arabischen Welt als größte Beleidigung „Agent des Imperialismus“ bezeichnet zu werden. Gerade in Zeiten von starkem Nationalismus, wie das zur Zeit Jesu war, wurde besonders diejenigen, die sich mit der Regierung arrangierten und sogar kooperierten zum Feindbild.

Die Zöllner wurde daher als Sünder gebrandmarkt. Als Menschen die unrein sind, die die Gesetze brechen und Menschen ohne moralische Prinzipien sind. Und zugleich galten sie als Verräter an ihrem eigenen Volk.

Sünder und Zöllner nahten sich Jesus (1). Sie gehörten zu seinen Zuhöreren. In seiner Gegenwart waren sie gerne. Das ärgerte die religiösen Eliten. Wie das Volk Israel gegen Mose und Aaron in der Wüste murrte (2Mo 15,24; 2Mo 16,2.7-8), empörten sie sich (2). Denn die Sympathien waren beidseitig. Jesus nahm die Sünder an und aß mit ihnen (2). Annehmen darf dabei nicht als Akzeptanz oder lose Beziehung verstanden werden, sondern als ein Annehmen als Freund. Jesus selbst erwarten von uns ihn auf- bzw. anzunehmen (Mk 9,37). Seine Annahme zeigte sich konkret beim Essen. Mit anderen Menschen zu essen, ist im Nahen Osten eine sakramentale Handlung und zeigt ein Angenommensein auf tiefer, persönlicher Ebene. Wer miteinander isst, signalisiert Respekt, Freundschaft und Annahme. Das brachte Jesus den Sündern entgegen und löste bei den Pharisäern große Unzufriedenheitaus, die zunahm und wenig später am Kreuz ihren Höhepunkt erreichte.

Hier es zum zweiten, dritten, vierten, fünften und sechsten Teil.