Der verlorene Sohn – (Teil 12: Die theologische Bedeutung II)

Nachdem ich in den ersten Teile der Serie versucht habe die Geschichte des verlorenen Sohnes unter Berücksichtigung von kulturellen Aspekte nachzuzeichnen, kommt jetzt eine Zusammenfassung der theologischen Bedeutung des Gleichnisses. Auf welche Bereiche geht Jesus „indirekt“ ein und was will er verdeutlichen? Stark inspiert hat mich dabei ein Buch von Kenneth Bailey. Meine Serie ist eine Buchzusammenfassung angereichert mit eigenen Gedanken.

Freiheit: Gott schenkt dem Menschen eine grundsätzliche Freiheit. Diese Freiheit beinhaltet die Liebe des Vaters abzulehnen und die Beziehung abzubrechen. Der Mensch kann seinen eigenen Wege gehen.

Reue: Das Gleichnis stellt zwei Arten von Reue dar. Einerseits der Versuch als Diener akzeptiert zu werden und andererseits das unverdiente Geschenk des Vaters anzunehmen. Gott will Söhne und keine Diener. Daher beinhaltet wahre Buße immer auch Sohn-werden.

Gnade: Die Geschichte berichtet von zwei Söhnen, die sich von ihrem Vater entfernen. Beiden geht der Vater entgegen, beide werden geliebt, beiden bietet er Versöhnung an, beiden wird unverdiente Gnade geschenkt und doch nimmt nur der jüngere Sohn das Geschenk an. Der Unmoralische erkennt Gottes Gnade und nimmt sie an, der Moralische versteht sie nicht und lehnt wütend ab. Die Botschaft Jesus hat nichts mit drinnen oder draußen zu tun, mit moralisch oder unmoralisch, konservativ oder liberal, religiös oder unreligiös. Das wird gerne verwechselt. Wir teilen die Welt gerne auf. Doch die Botschaft Jesu ist anders: „Jeder ist auf dem falschen Weg. Daher brauchst du meine  Gnade. Ich liebe dich, egal was bisher war. Ich will mich mit dir versöhnen. Nimmst du mein Angebot an?“

Wenn immer wir glauben Gott durch gute Werke gefallen und ihn auf seine Seite ziehen zu wollen machen, wird es im Zorn auf ihn und deine Mitmenschen enden.

Gnade ist freiwillige, unverdiente Liebe von Herzen, die nie aufgibt, sucht, leidet und retten kann.

Freude: Der Vater freut sich, dass er seinen Sohn wieder gefunden hat und der Sohn freut sich über das Gefundenwerden und die Versöhnung.

Gott als Vater: Gott wird als barmherziger Vater dargestellt. Er liebt alle Menschen und will sich mit ihnen versöhnen. Er ist bereit den Preis der Versöhnung zu zahlen.

Mensch als Sohn: Beide Söhne definieren Sohnschaft als Vater-Diener-Verhältnis. Der jüngere Sohn kommt zu seinem Vater und bietet ihm an sein Diener zu sein. Der ältere Sohn beschwert sich darüber, dass der Vater seine makellose Diener-Sein nicht wertschätzt. Der Vater lehnt bei beiden ihre Definition ab und bietet ihnen stattdessen seine kostspielige Vaterliebe an.

Christologie: Der Vater nimmt die Rolle des leidenden Knechtes ein, der seine unerwartete und unverdiente Liebe bei beiden Söhnen demonstriert. Er gibt seine Stellung auf und begegnet ihnen als Diener und bietet ihnen Tischgemeinschaft an.

Ekklesiologie: Wiederherstellung der Beziehung zum Vater bedeutet Eingliederung in die Dorfgemeinschaft. Weil die Beziehung zum Vater wieder in Ordnung ist, wird der Sohn ihm Dorf wieder akzeptiert. Übertragen gilt das für die Gemeinde. Familie und Dorfgemeinschaft ist eine Metapher für die Gemeinde.

Inkarnation: Der Vater verlässt seine Stellung und geht zu seinen Söhnen. Er begegnet ihnen dort wo sie sind. Das ist ein Bild für die Menschwerdung Jesu. Er verlässt die himmlische Gemeinschaft mit seinem Vater und wird Mensch und lässt sich von seinen Mitmenschen sogar hinrichten.

Eschatologie: Das Fest ist ein Bild auf die zukünftige Gemeinschaft in der neunen Welt/Himmel (Neuschöpfung).

Zu den anderen Teilen der Serie geht es hier: Teil 1, Teil 2, Teil 3, Teil 4, Teil 5, Teil 6, Teil 7, Teil 8, Teil 9, Teil 10 und Teil 11.

Der verlorene Sohn – (Teil 11: Die theologische Bedeutung I)

Nachdem ich in den ersten Teile der Serie versucht habe die Geschichte des verlorenen Sohnes unter Berücksichtigung von kulturellen Aspekte nachzuzeichnen, kommt jetzt eine Zusammenfassung der theologischen Bedeutung des Gleichnisses. Auf welche Bereiche geht Jesus „indirekt“ ein und was will er verdeutlichen? Stark inspiert hat mich dabei ein Buch von Kenneth Bailey.

Sünde und Errettung: Das Gleichnis stellt zwei Arten von Sünde dar. Die eine Sünde ist die des Gesetzesbrechen und die andere Sünde ist die des Gesetzeshaltens. Der ältere Sohn ist angepasst und eifrig, während der jüngere Sohn ausbricht und Normen verletzt. Sowohl die Gottlosen (Gesetzesbrecher) als auch die Frommen (Gesetzeshalter) sind geistlich verirrt. Warum? – In beiden Fällen geht es letztlich um die zerstörte Beziehung zum Vater. Beide Lebensarten zerstören die Beziehung, wenn auch die zweite Art die ausgemachten Erwartungen erfüllt.

Viele Menschen betrachten den christlichen Glauben als moralische und religiöse Angelegenheit. Er gilt als Abgrenzung und Bollwerk gegen die unmoralische und säkularisierte Gesellschaft.

Jesus zog u.a. Sünder und Unmoralische an. Von ihm ging eine anziehende Wirkung auf diese Gruppe von Menschen aus. Ist diese Anziehung der Kirche verloren gegangen? Bis auf Ausnahmen ist auf diese Frage leider mit Ja zu antworten. Vielmehr spricht die Kirche Menschen des Typus älterer Sohn an. Das sollte uns ins Nachdenken bringen. Wenn Jesus die Sünder und Unmoralischen angezogen hat und gleichzeitig die Moralischen und Angepassten bei ihm angeeckt sind und es heute genau umgekehrt ist, dann stimmt wohl was nicht.

Die Botschaft Jesus lautet, dass Gottes Liebe jegliche Art von Sünde verzeihen und Versöhnung schenken kann. Selbst die Ungeheuerlichkeiten des jüngeren Sohnes werden vom Vater verziehen und Wiederherstellung der Beziehung gelingt. Damit sollten wir als Christen keine Probleme haben, aber anscheinend ist das schwierig. Warum? Was befürchten wir? Was auch immer unsere Befürchtungen sind, wir sollten wir, dass wenn Gott jemanden aufnimmt auch wir bereit dazu sein sollten. Man stelle sich vor die ersten Christen hätten Paulus nicht aufgenommen…

Jesus stellt durch die zwei Brüder zwei grundlegende Wege dar, die ein Mensch auf der Suche nach Glück und Erfüllung geht. Der ältere Bruder geht den Weg der moralischen Anpassung und der jüngere Bruder den Weg der Selbstverwirklichung. Mit dem älteren Bruder nimmt Jesus Bezug auf die Pharisäer und Schriftgelehrten. Sie lehrten, dass der Mensch durch strikten Gehorsam gegenüber dem Gesetz Gottes zu einem von Gott gesegneten Leben führt und dazu beiträgt das Heil zu erlangen. Gottes Willen steht über den persönlichen Wünschen  und durch dessen Einhaltung wird die Welt zu einem besseren Ort. Der jüngere Bruder steht für die Zöllner und Sünder. Sie sind Menschen, die sich ihre eigene Freiheit nicht nehmen lassen. Sie handeln wie sie es für richtig halten. Steht ihnen zur Umsetzung der persönlichen Freiheit etwas im Weg z. B. Traditionen, Vorurteile, Familienstruktur, werden diese beseitigt. Beide Wege stehen sich direkt entgegen. Jeder sieht im Anderslebenden das Problem. Die „Frommen“ sagen: „Die Unmoralischen sind das Problem! Die haben keine Werte mehr und führen unsere Gesellschaft ins Chaos!“ Während die „Sünder“ entgegnen: „Die Frommen sind das Problem! Mit ihren altertümlichen Einstellungen blockieren sie den Fortschritt in unserer Gesellschaft.“ (Natürlich fallen nicht alle Menschen in diese beiden Kategorien).

In der Geschichte zerstörten beide Lebensarten die Beziehung zum Vater. Beide Richtungen führen in die Irre. Sowohl Selbstverwirklichung also auch Selbsterlösung führen nicht ans Ziel und werden von Jesus als Sünde bezeichnet. Beidem entgegen steht die Beziehung zum Vater. Christ-Sein bedeutet in Beziehung zu Gott zu stehen. Wir denken und handeln ausgehend als Sohn vom Vater Jesus.

Zu den vorherigen Teilen der Serie geht es hier: Teil 1, Teil 2, Teil 3, Teil 4, Teil 5, Teil 6, Teil 7, Teil 8, Teil 9 und Teil 10.

Der verlorene Sohn (Teil 10: Der verlorene Sohn – ist der Ältere)

Jesus schloß das Gleichnis mit einem offenen Ende. Er forderte die Zuhörer zum Handeln auf. Was sagt Jesus alles durch dieses Gleichnis aus. Ein paar zusammenfassende Gedanken dazu in diesem Teil der Serie.

Nach gängigen Maßstäbe können die zwei Söhne in „gut“ und „böse“ eingeteilt werden und dennoch gehen beide verloren. Der jüngere Sohn trennt sich auf drastische Art und Weise von seinem Vater, um sein eigenes Leben führen zu können. Doch er kehrt zurück, lässt sich von seinem Vater lieben und nimmt die Versöhnung seines Vaters an. Der ältere Sohn weigert sich am Fest seines Vaters teilzunehmen, um seinen Unmut zu demonstrieren und seine Lebensführung zu verteidigen. Der Vater kommt auch auf ihn zu und bietet ihm Versöhnung an. Wie es ausgeht lässt Jesus offen. Jesus lässt ihn ganz bewusst im entfremdeten Zustand. Der „böse, unmoralische“ Sohn nimmt am Fest teil, der „gute, moralische“ Sohn bleibt ihm fern. Der Hurenliebhaber wird gerettet, der pflichtbewusste, ehrbare, fleißige Diener bleibt verloren!

Warum nimmt der ältere Sohn nicht an der Feier teil? Weil er alles für den Vater getan hat und ihm treu gedient hat ohne etwas von ihm zu fordern. Als er sieht wie sein Bruder zu Anerkennung und Annahme kommt, bricht seine ganze Einstellung zusammen. Anstatt einzugestehen, dass er falsch liegt pocht er auf seine Einstellung. Dadurch verliert er die Liebe des Vaters. Er verliert sie, und das ist tragisch, weil er so tugendhaft ist. Seine moralischen Verdienste führen zum Bruch. Man kann gegen Gott rebellieren und sich von ihm entfremden, sowohl durch das Brechen von Geboten als auch durch penibles Einhalten der Gebote. Somit kann man Jesus als gnädigen Erlöser aus dem Weg gehen, indem man moralisch ist und alles richtig tut.  Dann benötigt man keinen Erlöser, sondern ist sein eigener Erlöser. So können fromm wirkende Menschen Jesus als Helfer, Vorbild und Inspiration haben und dennoch nicht als Erlöser annehmen. Die Bibel definiert Sünde als Zielverfehlung. Wenn ich Jesus nicht als Erlöser akzeptiere, auch indem ich versuche moralisch zu leben, verfehle ich das Ziel! Tim Keller schreibt: „Es gibt zwei Wege, sein eigener Erlöser und Herr zu sein. Der eine besteht darin, alle moralischen Regeln zu brechen und sich seinen Kurs selbst zu setzen. Der andere darin, alle moralischen Regeln einzuhalten und sehr, sehr gut zu sein.“ (Der verschwenderische Gott: Von zwei verlorenen Söhnen und einem liebenden Vater, S. 50).

Am Ende ist der verlorene Sohn – der Ältere!

Zu den vorherigen Teilen der Serie geht es hier: Teil 1, Teil 2, Teil 3, Teil 4, Teil 5, Teil 6, Teil 7, Teil 8 und Teil 9.

Der verlorene Sohn (Teil 9: Das offene Ende)

Nach dem heftigen Wutausbruch seines Sohnes sind wir gespannt auf die Reaktion des Vaters. Wie wird er reagieren? Wie wird er mit seinem Sohn umgehen? Zu den vorherigen Teilen der Serie geht es hier: Teil 1, Teil 2, Teil 3, Teil 4, Teil 5, Teil 6, Teil 7 und Teil 8.

31 Er aber sprach zu ihm: Kind, du bist allezeit bei mir, und alles, was mein ist, ist dein.  32 Aber man mußte doch jetzt fröhlich sein und sich freuen; denn dieser dein Bruder war tot und ist wieder lebendig geworden und verloren und ist gefunden worden.

Die Antwort des Vaters auf die Vorwürfe und die innere Haltung seines Sohnes überraschen wieder. Normalerweise hätte ein Patriarch seinen Sohn angeschrien und sich später der Sache angenommen. Ganz anders der Vater. Er übersieht den fehlenden Respekt, den Vorwurf, die Bitterkeit und den Hass seines ältesten Sohnes und verurteilt ihn nicht. Stattdessen spricht er ihn liebevoll an. „Mein Sohn“ oder „Kind“ ist eine herzliche Anrede. Sie unterscheidet sich von allen anderen Anreden in der Geschichte. Der Vater gebraucht nicht das eigentliche Wort für Sohn, sondern benutzt eine besonders liebevolle, herzliche Anrede. Diese Anrede benutzt der Vater nicht mal als der jüngere Sohn zurück kommt.

In seiner Antwort versucht der Vater sich zu erklären und seine Freude zu verteidigen. Zudem erinnert er den älteren Sohn an die Verloreneheit seines Bruders.

Der Vater muss sich erklären. Er muss seine Freude verständlich machen. Wie traurig und unnatürlich! Weder der Hirte aus der ersten Geschichte noch die Frau aus der zweiten Geschichte müssen das tun. Ihre Freude konnten alle nachvollziehen. Doch in diesem Fall muss der Vater seinem Sohn (den Pharisäern) seine Freude vermitteln, die doch völlig verständlich ist.

Die Geschichte hat ein offenes Ende. Wir erfahren nicht wie der älteste Sohn auf die Antwort des Vaters reagiert. Die drei Geschichten enden mit dieser Szene.

Die Antwort steht aus. Jesus lässt sie bewusst offen. Er verkörpert die Person des Vaters. Die Pharisäer nehmen die Rolle des ältesten Sohnes ein, während der jüngere Sohn für die Sünder steht. Die Ausgangsbeschuldigung der Pharisäer und Schriftgelehrten an Jesus war, dass er die Sünder aufnimmt und mit ihnen isst (1). Und nun antwortet Jesus ihnen: „Das ist meine Erklärung. Diese eure Brüder waren tot und sind wieder lebendig geworden und verloren und sind gefunden worden.“ Und schließt indirekt die Frage an: „Was werdet ihr jetzt mit mir machen?“ Jeder Zuhörer (und jeder Leser) wird von ihm aufgefordert, diese Frage selbst zu beantworten.

Der verlorene Sohn (Teil 8: Die Wut des älteren Sohnes entlädt sich)

Endlich gehts weiter mit dem nächsten Teil der Serie über die Geschichte vom verlorenen Sohn. Zu den andern Teilen geht es hier: Teil 1, Teil 2, Teil 3, Teil 4, Teil 5, Teil 6 und Teil 7.

 28 Er aber wurde zornig und wollte nicht hineingehen. Sein Vater aber ging hinaus und redete ihm zu.

Für den älteren Sohn waren die neuen Verhältnisse unerträglich. Alles was der Familie nach der Abgabe des Erbteils an den jüngeren Sohn geblieben war, gehörte ihm. Auch wenn der Vater noch das letzte Wort hatte, so blieb der verbleibende Reichtum bei ihm. Mit dem Tod des Vaters geht dann das Verkaufsrecht an ihn über. Der Vater darf den erwirtschafteten Verdienst ausgeben. Gibt er ihn nicht aus, vergrößert sich das Vermögen des ältesten Sohnes. Es war das gute Recht des Vaters ein Festessen zu veranstalten. Der jüngere Sohn profitierte vom Erbteil seines Bruders. Er war gekleidet, aß und trank vom noch übriggeblieben Erbteil seines Bruders. Das war für den älteren Sohn nicht hinnehmbar.

Hinzu kommt ein weiterer Aspekt. Während der Vater bei solchen Festivitäten bei seinen Gästen sitzt, fungiert der älteste Sohn als Oberkellner. Im Unterschied zu einem normalen Kellner darf er mit den Gästen sprechen. Dass der älteste Sohn Kellner auf der Feier ist, soll den Gästen Wertschätzung ausdrücken. „Ihr seid uns so wichtig, dass selbst unser ältester Sohn euch bedienen kommt.“ Praktisch würde das für den ältesten Sohn bedeutet, dass er seinen Vater und seinen jüngeren Bruder bewirten müsste. Ob er dazu in der Lage ist?

„Der jüngere Sohn ist durch eine kostspielige Gnade, die den traditionellen Ehrvorstellungen des Dorfes widerspricht, in seine frühere Position erhoben worden. Der ältere Sohn könnte gut das Gefühl haben, dass der Vater die Familie in den Augen des Dorfes entehrt hat. Eine Versöhnung und Wiedergutmachung ohne Strafe, die der Übeltäter begleichen muss, kann er weder verstehen noch annehmen.“ (Kenneth Bailey, Der ganz andere Vater, S. 105)

Daher weigert er sich am Fest teilzunehmen. Das ist ein echter Affront! Von allen von männlichen Familienmitgliedern wird bei einem solchen Feier erwartet, dass sie die Gäste per Handschlag begrüßen. Es gilt als persönliche Beleidigung gegenüber den Gästen und dem Gastgeber dies zu verweigern. Dem älteren Sohn ist das bewusst. Mit seinem absichtlichen Verhalten beleidigt er seinen Vater öffentlich. Wie schlimm eine solche Tat ist zeigt die Reaktion von König Ahasveros als sich Königin Waschti weigert zum Festessen zu erscheinen (Ester 1,12ff).

Die Nachricht vom Eintreffen des ältesten Sohnes und seiner Weigerung an der Feier teilzunehmen wird sich in Windeseile herumgesprochen haben. In einer Dorfgemeinschaft gibt es keine Geheimnisse. Alle Blicke waren auf den Vater gerichtet. Wie würde er auf die öffentliche Bloßstellung reagieren? Die Rebellion des jüngeren Sohnes begann im privateren Rahmen, während die des älteren Sohnes vor den Augen der gesamten Gäste und des Dorfes sich ereignete. Alle erwarteten entweder eine sofortige Bestrafung oder aber dass der Vater die Situation „ignoriert“ und später (nach dem Ende der Feier) mit seinem Sohn ins Gericht geht.

Und zum zweiten Mal an diesem Tag geschieht etwas völlig Überraschendes. Der Vater geht hinaus zu seinem Sohn und bittet ihn mitzufeiern. Er verlässt die Festgemeinschaft und geht zu seinem geliebten Sohn um ihn versöhnlich zu stimmen. Damit erniedrigt der Vater sich ein zweites Mal. Er verlässt seine Stellung als Patriarch der Familie und geht auf seinen Sohn zu. Er spricht weder eine Bestrafung aus noch ignoriert er seinen Sohn. Auch lässt er ihn nicht, wie zu erwarten, von dem Diener zu sich rufen, sondern macht den ersten Schritt. Er geht zu ihm und und begegnet ihm wie ein Diener. Er fordert ihn auf ihn zu verstehen und sein Verhalten zu akzeptieren. In seiner Bitte steckt sein Wunsch nach Versöhnung.

Das zeigt, dass der Vater beide Söhne liebt und bereit ist beiden ihren Fehltritt zu verzeihen. Er geht auf beide zu und bietet ihnen Versöhnung an. Er opfert sich für beide auf, ohne Rücksicht auf das Reden der Dorfgemeinschaft. Er ist bereit Schmach und übles Geläster auf sich zu nehmen, um der Versöhnung willens. Er geht das Risiko ein abgelehnt zu werden.

Der Vater wollte nichts mehr als seine Söhne zurückzugewinnen und zwar als Söhne. Sein jüngerer Sohn war bereit sein Diener zu werden. Doch der Vater wollte ihn als Sohn zurück. Deshalb gibt er ihm Würde und Sohnschaft zurück, auch wenn er sich dadurch den Unmut des Dorfes auf sich zieht. Dasselbe will er auch bei seinem älteren Sohn. Deshalb geht er hinaus zu ihm. Es wäre in seiner Macht gewesen seinen älteren Sohn hereinbringen zu lassen und ihn zu bestrafen. Doch das hätte nur die weitere Entfremdung zur Folge gehabt. Dass er auf ihn zugeht ist ein Zeichen echter Versöhnungsbereitschaft. Er trägt die Kosten für die Versöhnung. Der ältere Sohn muss nichts tun außer einzuwilligen. An dieser Stelle verdeutlicht Jesus was Menschwerdung und Sühneopfer bedeutet.

 29 Er aber antwortete und sprach zu dem Vater: Siehe, so viele Jahre diene ich dir, und niemals habe ich ein Gebot von dir übertreten; und mir hast du niemals ein Böckchen gegeben, daß ich mit meinen Freunden fröhlich gewesen wäre;  30 da aber dieser dein Sohn gekommen ist, der deine Habe mit Huren durchgebracht hat, hast du ihm das gemästete Kalb geschlachtet. 

An der Reaktion auf die Bitte um Versöhnung können wir einiges über den älteren Sohn feststellen:

1. Der Sohn weigert sich, sich mit seinem Vater und seinem Bruder zu versöhnen. Der Vater macht alles ihm Mögliche um die Beziehung wiederherzustellen. Wie der Hirte und die Frau in den ersten beiden Geschichten versucht er alles um das Verlorene zu finden.

2. In seiner Anrede gebraucht er nicht die höfliche Formel „oh Vater“. Damit zollt er seinem Vater keinen Respekt und beleidigt ihn ein zweites Mal.

3. Der ältere Sohn hat die Beziehung zu seinem Vater verletzt. Alle Regeln hat er eingehalten. Darüber ist er auch Stolz (29). Allerdings bricht er das Herz seines Vaters.

4. Er wirft seinem Vater vor, seinen Bruder zu bevorzugen (30). Für ihn schlachtet er ein Mastkalb, während er nicht mal eine Ziege bekommt.

5. Er grenzt sich von seiner Familie ab. Mit seinem Vater und Bruder kann er nicht fröhlich und ausgelassen feiern.

6. Der Vorwurf an seinen Vater mag uns verwirren, denn schließlich gehört ihm doch der gesamte Besitz (Eigentumsrecht). Er hätte sich doch so viele Tiere schlachten können und Feste veranstalten. Dass er mit seiner Situation noch nicht zu Frieden ist zeigt, dass er mehr will. Letztlich will auch er das volle Verfügungsrecht auf den Besitz (Verkaufsrecht) und damit das gemeinsame Verfügungsrecht aufkündigen.

7. Er verachtet seinen Bruder. Zum einen spricht er von „dein Sohn“ (30). Er ist nicht gewillt ihn als Bruder zu sehen. Zum anderen beschuldigt er seinen Bruder mit Huren geschlafen zu haben (30), obwohl er das nicht wissen konnte. Er verbreitet Lügen über seinen Bruder.

8. Seine Argumentation ist nicht konsequent. Er behauptet, dass sein Bruder das Geld des Vaters bei den Huren verprasst hat, indem er sagt: „deine Habe mit Huren durchgebracht“. Allerdings hat der Vater seinem Sohn den Anteil ganz gegeben (Eigentumsrecht + Verkaufsrecht). Er darf damit machen, was er will. Gleichzeitig beklagt er sich, dass er nicht das uneingeschränkte Recht über den übrigen Besitz hat. Dabei beklagt er etwas, was er seinem Bruder gar nicht zubilligt.

9. Er hat ein falsches Beziehungsverständnis. Sein Statement: „so viele Jahre diene ich dir“ zeigt, dass er in den Kategorien Diener-Herr denkt: Du bist der Herr und ich habe dein Diener zu sein. Und wie ein Diener fordert er seine Rechte und Gleichbehandlung ein. Wer so viel arbeitet wie ich, dem steht auch mehr zu. Wer so faul und link ist wie mein Bruder, dem sollte Feuer unter dem Arsch gemacht und nicht noch durch ein Fest belohnt werden. Er gehorcht den Vorschriften. Sein Bruder erwidert die Liebe seines Vaters.

10. Er meint, dass sein Vater und sein Bruder sich bei ihm entschuldigen müssen. Aber in Wirklichkeit braucht er deren Vergebung. Wenn er die Beziehung zu seinem Bruder abbricht, bricht er automatisch auch die Beziehung zu seinem Vater ab.

11. Er verkennt die Bedeutung des Festes. „Du hast ihm das gemästete Kalb geschlachtet“ zeigt, dass er davon ausgeht, dass das Fest zu Ehren seines Bruders gegeben wurde. Aber das Essen wird zu Ehren des Vaters abgehalten, denn es ist ihm gelungen die Beziehung zu seinem Sohn wieder herzustellen.

12. Er ist erfüllt von Neid, Eifersucht, Bitterkeit, Hass und Empörung und dennoch füllt er sich als der Gerechte.

Der verlorene Sohn (Teil 7: Die Wut des älteren Sohnes)

Es folgt der siebte Teil meiner Serie zum verlorenen Sohn. Zu den andern Teilen geht es hier: Teil 1, Teil 2, Teil 3, Teil 4, Teil 5 und Teil 6.

25 Sein älterer Sohn aber war auf dem Feld; und als er kam und sich dem Haus näherte, hörte er Musik und Reigen.

Die Feierlichkeiten haben schon angefangen als der ältere Sohn noch auf dem Feld war. Die Familie muss, wie schon erwähnt, ziemlich reich gewesen sein. Ansonsten hätten sie keine Diener gehabt, keine eleganten Kleider getragen und sich eine solche Feier nicht leisten können. Das bedeutet auch, dass der ältere Sohn nicht auf dem Feld war, um dort selbst zu arbeiten. Kein Landbesitzer mit Knechten würde je selbst Hand anlegen. Stattdessen hatte er die Aufsicht über seine Arbeiter.

Als er sich dem Haus näherte, hörte er Musik und Tanz. Ein paar begabte Musiker unter den Gästen werden musiziert haben. Eventuell spielte sogar eine Musikgruppe. Vermutlich benutzte die Gruppe Trommeln und Saiteninstrumente. Der Rhythmus der Trommeln war schon von weitem zu hören und dem Sohn musste dadurch klar gewesen sein, dass eine spontane freudige Feier im Gang ist. Zur Musik wurde getanzt. Vermutlich der beliebte Kreistanz (Reigen). Er war anmutig und einfach zu tanzen, so dass alle Gäste mittanzen konnten.

Die natürlichste Reaktion auf die Musik wäre Vorfreude gewesen. Feierlichkeiten gab es schließlich nicht jeden Abend und wenn eine Feier im Gange war, dann nur aus besonderem Anlass. Dennoch kommt beim älteren Sohn keine rechte Freude auf und er bleibt abseits stehen.

26 Und er rief einen der Sklaven herbei und erkundigte sich, was das sei.

Selbstverständlich erkundigt sich der ältere Sohn erstmal was der Grund für die spontane Feier ist. Er ist überrascht worden. Dazu fragt er einen kleinen Jungen. Die Bezeichnung Sklave ist etwas irreführend. Im griechischen Text steht „pais“, was mit „kleiner Junge/Knabe“ oder „Diener“ übersetzt werden kann. Die Übersetzung mit „Diener“ ist zwar möglich, aber wahrscheinlicher handelt es sich um einen Knabe. Die Knaben im Dorf durften an der Feierlichkeit nicht direkt teilnehmen. Doch natürlich ließen sie sich das Event nicht entgehen. Sie standen in gewissen Abstand um das Haus. Sie hörten der Musik zu, tanzten ihre eigenen Tänze und amüsierten sich. Sie waren daher für die Nachzügler und Neugierigen die erste Informationsquelle. Der ältere Sohn wird solch einen Jungen, der sich am Haus herumgetrieben hat und alles genau wusste, gefragt haben.

27 Der aber sprach zu ihm: Dein Bruder ist gekommen, und dein Vater hat das gemästete Kalb geschlachtet, weil er ihn gesund wiedererhalten hat.

Im kurzen Bericht des Knaben sind zwei wichtige Aspekte enthalten. Er berichtet, dass der Bruder gekommen ist. Angekommen bedeutet lediglich, dass er heim gekehrt ist. Es besagt dagegen nicht, dass reumütig zurückgekehrt ist. Der Junge hätte auch Wörter gebrauchen können, die diesen Aspekt beinhalten. Der ältere Sohn erfährt, dass sein, für ihn gestorbener Bruder, aufgrund einer Notsituation wieder heim gekommen ist, weil er seinen Vater um etwas bitten will.

Desweiteren berichtet der Knabe, dass der Vater ihn gesund wieder hat. Gesund meint in diesem Zusammenhang weniger „bei guter Gesundheit“, sprich ohne Krankheiten. Vielmehr wird das an dieser Stelle benutzte griechische Wort „hygiaino“ (von dem das Wort Hygiene abstammt) im Hebräischen am besten mit Shalom übersetzt. Shalom bedeutet Frieden und meint inneren und äußeren Frieden. Es beinhaltet Gesundheit, ist aber in seinem Bedeutungsspektrum viel weiter. Es bedeutet darüber hinaus auch Versöhnung. Der ältere Sohn muss erfahren, dass sein Vater sich wieder mit ihm versöhnt hat. Er weiß, dass er keine Möglichkeit mehr hat auf die Entscheidung seines Vaters Einfluss zu nehmen und seine Sichtweise darzustellen. So erklärt sich sein Schmerz und seine Wut (28). Sein Vater hat einen Sünder aufgenommen und ist gerade dabei an seinem Tisch zu sitzen. Das ist genau die Beschwerde, die die Pharisäer Jesus vorwerfen (2). Hier wird eindeutig sichtbar, dass der Vater ein Symbol für Jesus selbst ist.

Wie wird sich die Wut des älteren Sohnes zeigen? Mehr dazu im nächsten Teil.

Der verlorene Sohn (Teil 6: Die erschütternde Begegnung)

Hier kommt der sechste Teil meiner Serie von Jesu Geschichte über den verlorenen Sohn.  Um zu den vorherigenen Teile zu gelangen, einfach auf die jeweilige Zahl klicken. Teil 1, 2, 3, 4 und 5

20 Und er machte sich auf und ging zu seinem Vater. Als er aber noch fern war, sah ihn sein Vater und wurde innerlich bewegt und lief hin und fiel ihm um seinen Hals und küßte ihn.

Mit einem klaren Plan macht sich der Sohn auf den Weg zurück in sein Heimatdorf. Ihm war klar, was auf ihn zukommen würde. Sein Vater würde im Haus bleiben, während er den bösen Blicken und Kommentaren der Dorfbewohner ausgesetzt ist. Sobald sie herausfinden, dass er sein Geld bei den Heiden verloren hat, werden sie das Kezazah-Ritual durchführen. Er muss dann an einem Pranger vor dem Tor des Familienanwesens sitzen, bis ihn der Vater zu sich lässt. Sein Vater wird sehr zornig werden und er muss sich für alles entschuldigen und inbrünstig darum bitten ein Tagelöhner zu werden.

Doch nichts davon geschieht. In der Dorfgemeinschaft werden Entscheidungen normalerweise immer gemeinsam getroffen. Dafür wird lange diskutiert und erst wenn ein Kompromiss gefunden wurde, wird die Entscheidung verkündigt und tritt in Kraft. Normalerweise wären die Dorfältesten zusammengekommen und hätte über das Schicksal des heimgekehrten Sohnes beraten und entschieden. Der Vater verhält sich entgegen der kulturellen Norm. Als er ihm entgegen läuft, um sich mit seinem Sohn zu versöhnen, bricht er alle Regeln der orientalischen Gesellschaft.

Als der Vater seinen Sohn sieht macht er vier Dinge. Er wurde innerlich bewegt, er lief ihm entgegen, fiel ihm um den Hals und küsste ihn. Was sagt uns diese Vorgehensweise? Dass der Vater innerlich bewegt war klingt für uns ganz nett. Was hier mit „innerlich bewegt“ wiedergegeben wird, heißt im griechischen Urtext „esplanchnisthe“. In diesem Zeitwort steckt das Hauptwort „splanchnon“. Es bezeichnet „die Eingeweide“, „das Innere des Bauches“, auch „das Herz“. „Splanchnizomai“ bedeutet wörtlich „etwas berührt, bewegt, ergreift mich in meinen Eingeweiden, in meinem Inneren“, „etwas geht mir zu Herzen“, „etwas lässt mich nicht kalt“. Als der Vater seinen Sohn sah, ging im das zu Herzen. Es löste in ihm ein sehr starkes körperliches Gefühl aus. Für den Hebräer ist der Bauch der Sitz von zärtlichen Gefühlen. Bei uns ist der Bauch auch der Sitz von Wut (z. B. ich habe Wut im Bauch).

Als zweites läuft der Vater ihm entgegen. Beim Wort laufen handelt es sich um einen Begriff aus dem Sport und bedeutet „rennen“. Der Vater geht seinem Sohn nicht normal entgegen, sondern wie ein Wettkampfsportler rennt er ihm so schnell er kann entgegen. Im Nahen Osten würde ein älterer Mann in seiner Position niemals rennen, sondern langsam und würdevoll gehen. Aber der Vater rennt. Dazu muss er sein langes Gewand vorne in die Hand nehmen und anheben. Dadurch werden seine Beine sichtbar, was als demütigend gilt. Doch dem Vater ist diese Schande egal. Ihm macht es nichts aus sich öffentlich zu blamieren. Er weiß was seinem Sohn im Dorf blüht und das will er ihm aus Mitleid und Liebe ersparen.

Die Vorgehensweise des Vaters, der sein Haus verlässt und sich auf dem Weg zu seinem Sohn öffentlich demütigt ist ein Bild für die Menschwerdung Gottes. Jesus verlässt die Herrlichkeit des Himmels und kommt auf die Erde, um dort sich von den Menschen richten zu lassen.

Als der Vater zu seinen Sohn rennt wird er nicht allein gewesen sein. Seine Diener begleiteten ihn (22) und auch das halbe Dorf wird neugierig ihm gefolgt sein. Das Gespräch des Vaters mit seinem Sohn findet nicht unter vier Augen statt. Jedes gesprochene Wort wird sich in Windeseile im ganzen Dorf herumgesprochen haben. Das Handeln des Vaters stellt einen dramatischen Versöhnungsversuch dar. Niemand im Dorf darf ihn danach weiter ablehnen.

Nachdem der Vater seinen Sohn erreicht hat fällt er ihm um den Hals und küsste ihn. Das ist eine gängige Begrüßungs- und Abschiedsform. Während der Sohn sich  von seinem Vater nicht angemessen verabschiedet hat (wie auch), begrüßt der Vater ihn ganz natürlich. Mit dieser Reaktion zeigt der Vater seinen Sohn seine Liebe und auch seinen Schmerz. Wäre ihm die Entfremdung seines Sohnes egal gewesen oder hätte er sie verdrängt, dann wäre seine Reaktion anders, nämlich kühl, abwartend oder rächend gewesen.

21 Der Sohn aber sprach zu ihm: Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir, ich bin nicht mehr würdig, dein Sohn zu heißen.

Der Sohn ist von der Reaktion seines Vaters mehr als überrascht und völlig fassungslos. Er ist „geplättet“ und geschockt. Er wird konfrontiert mit der Liebe seines Vaters nach allem was er ihm angetan hat. Das führt zu einem Umdenken. Seine festgelegte Strategie der Manipulation wird verworfen. Er unterbreitet dem Vater keinen Lösungsvorschlag, sondern lässt sich umarmen. Völlig überwältig macht er sich abhängig von der Gnade seines Vaters: „ich bin nicht mehr würdig, dein Sohn zu heißen.“ In den Armen seines Vaters erkennt er, dass es seinem Vater nie um Geld ging, sondern um die Beziehung. Ihm wurde klar, dass er etwas viel schlimmeres getan hat als seinen Erbteil bei den Heiden zu verprassen. Er hat sich von seinem Vater getrennt. Er hat ein autonomes Leben begonnen und dadurch das bedeutendste im Leben verspielt – seine Beziehung zum Vater. Nun lässt er sich wie das Schaf (erste Geschichte) einfach finden und begibt sich ganz in die Hände seines Vaters. Plötzlich weiß er nicht mehr wie er aus der Nummer herauskommt und hofft ganz auf dem Vater.

22 Der Vater aber sprach zu seinen Sklaven: Bringt schnell das beste Gewand heraus und zieht es ihm an und tut einen Ring an seine Hand und Sandalen an seine Füße;  23 und bringt das gemästete Kalb her und schlachtet es, und lasst uns essen und fröhlich sein!  24 Denn dieser mein Sohn war tot und ist wieder lebendig geworden, war verloren und ist gefunden worden. Und sie fingen an, fröhlich zu sein.

Als der Vater merkt, dass sein Sohn keine Ahnung hat wie er die zerbrochene Beziehung wie heilen kann, ordnet er eine Feier an. Genau wie bei den beiden Geschichten zuvor wird der „Fund“ gefeiert.

Der Vater wendet sich an seine Diner mit der Bitte entsprechende Kleider für den Sohn zu bringen. Sein Sohn muss sich nicht selbst um angemessene Kleider kümmern. Indem die Diener das erledigen müssen, sollen sie ihm Ehre erweisen.

Das beste Gewand ist das prächtigste Kleidungsstück des Vaters. Der Sohn wird im elegantesten Gewand auf der Feier erscheinen und dadurch herausstechen. Jeder wird im deshalb mit Respekt begegnen. Jemanden mit nobler Kleidung auszustatten bedeutet immer ihn zu ehren (vgl. Ester 6,1-9).

Bei dem geschenkten Ring wird es sich höchstwahrscheinlich um einen Siegelring handeln. Mit einem solchen Ring werden offizielle Dokument unterschrieben. Damit bekommt der Sohn trotz seiner Vorgeschichte wieder Verantwortung übertragen. Dem älteren Sohn wird das mächtig gegen den Strich gegangen sein, denn er bekam gewisse Vollmacht über den restlichen Familienbesitz.

Auch die Schuhe sind Zeichen einer neuen Stellung. Sklaven gehen barfuß. Jeder im Dorf soll nicht nur hören, sondern sehen, dass Vater und Sohn sich versöhnt haben.

Danach wird ein großes Dorffest veranstaltet. Dafür wird ein gemästetes Kalb geschlachtet. Der Vater lässt das beste Fleisch servieren. Fleisch ist eine Delikatesse und zugleich ein Luxus, den die Dorfbewohner sich nicht oft gönnen konnten.

Mit all diesen Schritten versöhnt der Vater seinen Sohn mit seiner Umgebung. Zuerst mit sich, dann mit den Dienern und schließlich mit dem ganzen Dorf. Die Dorfältesten werden ihn aus Loyalität zu seinem Vater wieder annehmen und als vollwertiges Mitglied des Dorfes aufnehmen. Allerdings gibt es noch einen schwierigen Fall zu lösen. Wie wird er Ältere, der noch auf dem Feld ist, reagieren?

Wie wird der jüngere Sohn sich in Zukunft verhalten? Nach dem was geschehen ist wird er weder eine Strafe befürchten noch die Erwartung auf eine Belohnung ihn antreiben. Er hat bekommen, was er nicht verdient. Er war ganz unten ist wieder oben. Er ist von seinem Vater aus dem „Dreck“ gezogen worden und darüber so glücklich, dass er seinem Vater für immer dankbar sein wird. Dankbarkeit ist sein Antrieb nicht der Wunsch nach Anerkennung oder die Angst bestraft zu werden. Warum? Mehr Anerkennung kann er nicht mehr bekommen und hätte sein Vater ihn bestrafen wollen, hätte er längst allen Grund dafür gehabt.

Der verlorene Sohn (Teil 5: Der gesichtswahrende Plan)

Das ist der fünfte Teil meiner Serie zur Geschichte vom verlorenen Sohn, die Jesus erzählte, um auf das Murren der Pharisäern und Schriftgelehrten einzugehen. Ich werde darin besonders auf die kulturellen Besonderheiten eingehen. Gedanken zur Vorgeschichte und den zwei Geschichten, die Jesus unmittelbar vor der Geschichte vom verlorenen Sohn erzählt hat, habe ich im ersten, zweiten und dritten Teil festgehalten. Im vierten Teil geht es um den Anfang der Geschichte vom verlorenen Sohn. (Wenn ihr auf den unterstrichen Text klickt, gelangt ihr zum entsprechenden Text).  Jetzt folgt die Fortsetzung:

 13 Und nach nicht vielen Tagen brachte der jüngere Sohn alles zusammen und reiste weg in ein fernes Land, und dort vergeudete er sein Vermögen, indem er verschwenderisch lebte.

„Alles zusammenzubringen“ bedeutet wörtlich „alles in Geld verwandeln.“ Es ist außergewöhnlich, dass der jüngere Sohn sein Erbteil in wenigen Tagen verkaufte. Im Nahen Osten wird schon bei kleinsten Transaktionen tagelang verhandelt. Der jüngere Sohn wollte das aber nicht und verkaufte stattdessen um jeden Preis. Die Folge war, dass er seinen Erbanteil billig verkauften musste. Er hat ihn also zu einem Schleuderpreis vertrieben. Der Grund für dieses Verhalten liegt in der Verachtung seinen Tuns durch das Dorf. Keiner hätte sein Verhalten gut geheißen. Und so verließ er eilig seine Heimat und Familie und ließ zerstörte Beziehungen und einen verzweifelnden Vater zurück.

Der Sohn ging mit seiner Entscheidung ein großes Risiko ein. Sollte er sein Geld unter den Heiden verlieren, hätte er niemanden mehr. Er hatte nicht mehr die Möglichkeit nach Hause zu kommen. Keiner würde ihn aufnehmen. Mit Grund dafür ist eine jüdische Sitte Namens „Kezazah“. „Kezazah“  bedeutet das Abschneiden. Würde ein jüdischer Junge sein Erbe unter Heiden vergeuden und dennoch zurückkommen, würde die Dorfgemeinschaft einen großen Tontopf vor ihm zerschmettern und rufen: „Du bist von deinem Volk abgeschnitten.“

Dennoch zog er von dannen in ein fernes Land. Es wird nicht näher beschrieben wohin genau außer, dass er von seinem eigenen Volk weg ging. Er war unter Nichtjuden, denn sie aßen Schweinefleisch (15).

Dort vergeudete er sein Vermögen. Wie er sein Geld verschwendete wird nicht gesagt. Die Auslegungstradition vermutet, dass er es auf unmoralische Art ausgab, doch das bleibt letztlich Spekulation. Was es zeigt, dass er unklug und nicht verantwortungsvoll mit dem Geld umging. Er wird sich neue Freunde gesucht haben. Da Großzügigkeit eine große Tugend ist, wird er versucht haben in seiner neuen Heimat durch große Feste und teure Geschenke Freunde und Status zu gewinnen. Dabei wird er selbst für die kulturellen Verhältnisse mächtig überzogen haben, denn sonst würde sein Handeln nicht als prassen oder vergeuden beschrieben werden.

 14 Als er aber alles verzehrt hatte, kam eine gewaltige Hungersnot über jenes Land, und er selbst fing an, Mangel zu leiden.

Der jüngere Sohn hatte endlich das Leben, dass er sich so ersehnt hatte. Nun konnte er leben wie er wollte. Doch sein neuer Lebensstil hatte eine Schattenseite. Sein Umgang mit Geld war verantwortungslos und maßlos. Er vergeudete nicht nur einen Teil, sondern alles. Anstatt zu investieren und längerfristig zu denken, lebte er für den Moment. Bald schon war alles verzehrt. Zu allem Überfluss kam auch noch eine gewaltige Hungersnot hinzu. Zum für ihn ungünstigen Zeitpunkt musste die Region Not leiden. Hätte er vorher eine solche Hungersnot durch sein Vermögen überbrücken können trifft sie ihn jetzt voll. Zum wahrscheinlich ersten Mal in seinem Leben muss er Mangel leiden. Ein ganz neues Gefühl. Jetzt wird im klar, dass er in einer ganz schwierigen Situation war. Er hatte alles falsch gemacht. Zurückkehren zu seinem Vater bzw. in sein Dorf war keine Option für ihn. Er müsste die Verachtung seines Bruders ertragen. Die Familie lebte nur noch von seinem Vermögen. Er müsste vom Erbe seines Bruders leben. Wie gerne die Familie das mit ihm teilt würde ist klar. Außerdem müsste er sich der Dorfgemeinschaft stellen. Er hatte ihre heiligen Regeln missachten. Hohn und Spott erwarteten ihn und er musste mit dem Kezazah-Ritual rechnen. Daher ist er eher bereit alles zu erdulden, als seinen Stolz aufzugeben und in Demut zu seiner Familie zurückzukehren.

 15 Und er ging hin und hängte sich an einen der Bürger jenes Landes, der schickte ihn auf seine Äcker, Schweine zu hüten.

Weil er nicht zurückkehren wollte musste er sich einem Bürger des Landes anhängen. Die Wortwahl Bürger deutet darauf hin, dass es sich um einen wohlhabenden Mann handelt. Nicht alle Einwohner eines Landes besaßen den Bürger-Titel. Er gehörte zu den Privilegierten des Landes. Dass der jüngere Sohn sich diesem Bürger anhängte, muss nicht heißen, dass dieser ihn freiwillig mit Arbeit versorgte. Dahinter wird eher eine typisch nahöstliche Vorgehensweise liegen. Arbeitslose und/oder arme Menschen bieten sich Reichen häufig auf sehr aufdringliche Weise an. Noch heute kann man das feststellen, z. B. wenn einem das Auto einfach geputzt wird oder Menschen einem folgen, die Taschen aus der Hand reißen, um sie zu tragen. Alle Versuche sie loszuwerden sind vergeblich. Stattdessen erwarten sie für ihre „loyalen und hilfsbereiten Dienste“ ein Entgeld. Sie haben sich quasi an sie „gehängt“. Ähnlich wird es wohl in der Geschichte gewesen sein. Der Bürger des fernen Landes wollte dem Ausländer wahrscheinlich gar nicht helfen und versuchte ihn loszuwerden. Das versuchte er indem er ihm eine Arbeit anbot, die dieser bestimmt ablehnen würde. Auch das ist eine typisch nahöstliche Vorgehensweise. Weil man niemand direkt ablehnen (z. B. kündigen) kann, macht man ihm ein Angebot, das er ablehnen wird. Ein Chef kündigt seinem Angestellten nicht, sondern teilt ihm eine neue Aufgabe zu, die dieser nicht tun wird. So ging auch der reiche Bürger vor, schließlich werden jeden Tag Bettler bei ihm vorbeikommen.

Der Sohn war als Jude bekannt gewesen. Juden verabscheuten Schweine. Sie waren unrein. Im Nahen Osten werden Schweine von Juden wie Moslems bis heute abgelehnt. Deshalb bot der Bürger ihm an Schweine zu hüten. Er rechnete mit einer Absage. Hätte der Sohn nur einen Funken Ehrgefühl gehabt, hätte er das Angebot abgelehnt. Doch zur Überraschung des Mannes wie der Zuhörer der Geschichte nahm der jüngere Sohn diesen Job an und hütete Schweine. Er wird keine modernen Viehwirtschafts vorgefunden haben. Schweine wurden normalerweise nicht als Nahrung gehalten, sondern dienten als dörfliche Mühlabfuhr. Der Sohn war ganz unten angekommen. Ohne Familie und als Ausländer in einem fernen Land, arm, obdachlos und mit knurrendem Magen ging er der erniedrigenden Aufgabe nach.

16 Und er begehrte seinen Bauch zu füllen mit den Schoten, die die Schweine fraßen; und niemand gab ihm. 

Der Tiefpunkt war aber noch nicht erreicht. Die Arbeit gab ihm bei weiten nicht was er erhoffte. Er litt Hunger. So sehr, dass er sehr gerne die Schoten gegessen hätte. Begehren ist ein sehr ausdrucksstarkes Wort (Lk 22,15). Es wird auch für die sexuelle Begierde gebraucht. Er verspürte ein starkes Verlangen nach Schweinefutter. Die für die Hirten übriggelassenen Schweinefleischbrocken wollte er nicht essen. Schweine zu füttern war abstoßend genug.

Der Vers sagt nicht, dass er Schoten aß. Er erwähnt sein Verlangen danach. Letztlich besagt es, dass der Sohn sich wünschte ein Schwein zu sein. Ihnen ging es besser als ihm, denn sie hatten wenigstens zu essen.

In seiner Verzweiflung versuchte er zu betteln. Ohne Erfolg! Niemand gab ihm etwas. Noch versucht er durch Betteln irgendwie über die Runden zu kommen. Noch denkt er nicht darüber nach, nach Hause zu gehen. Der drohende Spießrutenlauf ist keine Option für ihn.

17 Als er aber in sich ging, sprach er: Wie viele Tagelöhner meines Vaters haben Überfluß an Brot, ich aber komme hier um vor Hunger.  18 Ich will mich aufmachen und zu meinem Vater gehen und will zu ihm sagen: Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir,  19 ich bin nicht mehr würdig, dein Sohn zu heißen! Mach mich wie einen deiner Tagelöhner!

In seiner Not ging der Sohn in sich. Er wurde schlau. Das Ergebnis seiner Reflektion ist es nach Hause zu gehen. Sein Plan: Seinen Vater dazu zu bewegen, ihn als Arbeiter anzustellen und ihm dann mit dem verdienten Geld das verprasste Erbe zurückzuzahlen, um wieder Aufnahme in die Dorfgemeinschaft zu bekommen.

Eine entscheidende Frage an dieser Stelle ist: Bereute er seine Tat? Viele Ausleger meinen, dass sein Selbstgespräch seine Reue zeigt. Doch ist dem wirklich so? Ich bezweifle das. In seinem Selbstgespräch ist lediglich von seinem Verlangen nach Essen die Rede. Sein Problem ist sein Hunger und den muss er stillen, denn sonst kommt er um. Alle bisherigen Versuche sind gescheitert. Daher muss er jede Option in Erwägung ziehen. Und da kommt sein Vater wieder ins Spiel. Seine Arbeiter haben genug Brot zum Essen. Brot war das Grundnahrungsmittel. Alle Mahlzeiten bestanden aus Brot. Und davon gab es bei seinem Vater im Überfluss. Brot in Fülle zum Essen zu haben war fast schon ein Luxus, der nur Wenigen vergönnt war. Bei seinem Vater konnte er das bekommen. Ihm geht es nicht um die Beziehung zu ihm. Er will nicht mehr sein Sohn sein. Er will Essen und er will das verlorene Geld zurückzahlen. Scheinbar sieht er keine Möglichkeit im fernen Land einem Beruf nachzugehen, sich ausbilden zu lassen oder selbständig zu machen. Er brauchte jemand, der ihn in seine Arbeiterschaft aufnahm.

Daher fragt er sich, wie er seinen Vater nach allem was passierte dazu zu bringen kann, ihm seine Bitte zu erfüllen. Er denkt an Geld und merkt nicht, dass es dem Vater um die Beziehung geht. Für den Vater ist das übertretene Gesetz nicht das Problem, sondern die durch sein Gehen zerstörte Beziehung. Aufgrund dieses „falschen“ Gedankengangs sucht der Sohn sich eine „Beichte“ auszudenken.

Der erste Satz: „Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir“ klingt reumütig. Doch er ist es nicht. Jesus wählt diesen Satz und konnte erwarten, dass ihn die Pharisäer einordnen können. Er ist eine freie Wiedergabe der Worte des Pharaos nach den ersten neun Plagen (vgl. 2Mo 10,16). Die Pharisäer wusste, dass der Pharao nicht wirklich Reue empfand, sondern versuchte Moses zu manipulieren. Der Sohn hat eine ähnliche Absicht. Er will keine Gnade, sondern eine Arbeit. Deshalb bietet er auch seinem Vater an Tagelöhner zu werden. Er hätte ihm auch anbieten können sein Sklave zu werden. Dann würde er aber kein Geld bekommen und könnte den finanziellen Verlust nicht ausgleichen.

Seine Bitte ein Handwerker zu sein beinhaltet folgende Dinge:

1. Als Handwerker könnte er in einem Nachbardorf mit anderen Handwerker wohnen und nicht bei der Familie. Er könnte sich so zumindest ein wenig seinem Heimatdorf, seinem Bruder und Vater entziehen. Um bei seinem Vater zu wohnen, müsste er seinen älteren Bruder wieder als Bruder annehmen.

2. Er erhoffte sich seinen Verlust wieder gut zumachen. Er zeigte dadurch, dass er bereit ist seinen Fehler auszubügeln und erhoffte sich dadurch Respekt verdienen zu können.

3. Es geht hier um den Unterschied zwischen Kind-Sein und Diener-Sein. Der jüngere Sohn hat es abgelehnt seine Verantwortung als Sohn zu übernehmen, nachdem er sein Erbe bekommen hat. Jetzt will er nicht wieder Sohn werden. Sein Vater soll sein Herr und Meister sein und er kann Knecht sein. Die theologische Frage dahinter ist: Sind wir Diener Gottes oder Kinder Gottes?

4. Er hat noch nicht verstanden, was er eigentlich gemacht hat. Er geht davon aus, dass wenn er das Geld zurückgehalt hat, alles wieder in Ordnung ist. Doch es geht nicht ums Geld, sondern um die Beziehung. Der Sohn versucht nicht die Beziehung wiederherzustellen, sondern den finanziellen Verlust zu beheben.

5. Versöhnung gehört nicht zu seinem Plan. Er will essen und seine „Schulden“ abbezahlen.

Fazit: Er ist immer noch Verloren und kehrt nicht wirklich zurück, denn er will die Knechtschaft und keine Sohnschaft.

Weiter mit dem sechsten Teil geht es hier.

Der verlorene Sohn (Teil 4: Der Todeswunsch)

Das ist der vierte Teil meiner Serie über die Geschichte vom verlorenen Sohn.  Ich gehe darin besonders auf die kulturellen Hindergründe und den Kontext der Geschichte ein. Im ersten Teil ging es um die Vorgeschichte. Im zweiten und drittenTeil gehe ich auf die zwei Geschichten ein, die Jesus unmittelbar vor der Geschichte des verloren Sohnes erzählt und mit dieser verknüpft ist.

Die dritte Geschichte

11 Er sprach aber: Ein Mensch hatte zwei Söhne;

Mit diesem einleitenden Satz beginnt Jesus die dritte Geschichte und kommt damit zum Höhepunkt. Im ersten Satz nennt er alle drei Beteiligten: der Vater, Sohn 1 und Sohn 2. Traditionel lwird vom Gleichnis vom verlorenen Sohn gesprochen. Doch damit wird man der Geschichte nicht gerecht, schließlich geht es um zwei Söhne. Deshalb würde ich lieber vom Gleichnis der zwei Söhne sprechen. In der Geschichte stehen die Beziehungen der drei Beteiligten im Mittelpunkt. Daher müssen wir sie genau anschauen, um am Ende zu verstehen warum jeder handelt wie er handelt.

 12 und der jüngere von ihnen sprach zu dem Vater: Vater, gib mir den Teil des Vermögens, der mir zufällt! Und er teilte ihnen die Habe.

Der jüngere Sohn wendet sich mit einer gelinde gesagt unverschämten Forderung an den Vater. Eine solche Bitte bedeutete nicht anderes, dass der jüngere Sohn ungeduldig auf den Tod seines Vaters wartete. Am liebsten wäre ihm gewesen, wenn er schon tot wäre, denn dann hätte sich sein Anliegen schon lange erfüllt. Das Vermögen des Vaters wird normalerweise erst an seinem Lebensende aufgeteilt (vgl. 1Mo 25,5-8 und 1Mo 48-49). Es war aber auch möglich, dass der Vater das Erbe vor seinem Tod aufteilte. Dafür gab es spezielle juristische Bestimmungen. Der Erbe/die Erben erhielten dann das gesetzliche Eigentumsrecht. Allerdings noch nicht das Verkaufsrecht. Der Besitz gehörte ihnen dann zwar schon, aber er wurde immer noch vom Vater verwaltet. Daher sagt der Vater am Ende der Geschichte auch zu seinem älteren Sohn: „Alles was mein ist, ist auch dein.“ Dem älteren Sohn gehörte rechtlich alles was auch dem Vater gehörte. Streng genommen war es sein Eigentum. Wobei der Vater immer noch das Recht hatte das Eigentum seines Sohnes zu gebrauchen und z. B. ein Kalb für eine Party zu schlachten. Der jüngere Sohn fragte seinen Vater nach dem Eigentums- und Verkaufsrecht und bekommt es tatsächlich. Beide Verhalten sind in dieser Kultur ungeheuerlich. Ein absolutes No-Go! Niemals würde ein Sohn auf die Idee kommen seinen Vater nach dem Erbe zu fragen und wenn er es tatsächlich macht, würde der Vater es ihm nie geben. Beide Verhalten lösten bei den Zuhöreren Fassungslosigkeit aus. Wie kann ein Sohn nur auf die Idee kommen seinem Vater eine solche Frage zu stellen? Wie kann der Vater diese Ungeheuerlichkeit dulden und dem Sohn sein Vermögen geben?

„Und er teilte ihnen die Habe.“ Im Zuge der Bitte des jüngeren Sohnes klärt der Vater alle Erbangelegenheiten. Nicht nur der jüngere Sohn bekommt seinen Anteil auch der ältere Sohn bekommt sein Erbe. Allerdings fordert dieser nicht das Verkaufsrecht.

Schauen wir uns die drei beteiligten Personen gleich mal näher an:

Der jüngere Sohn

1. Die Bitte zeigt seine Auflehnung gegen seinen Vater. Er will, dass er nicht mehr existiert. Wie er befindet sich auch die Menschheit in einer Art Auflehnung gegen Gott. Sünde will letztlich den Tod des Vaters/Schöpfers.

2. Er denkt egoistisch. Es geht ihm nur um sich. Er will weg, er will das Geld, basta. Wie er damit seinen Vater verletzt und seine Familie bloß stellt spielt für ihn keine Rolle.

3. Prinzipiell war es möglich seinen Erbanteil vor dem Tod seines Vaters zu bekommen. Der Anteil des jüngeren Sohnes betrug ein Drittel (vgl. 2 Mo 21,17). Es wird nicht gesagt, dass der Sohn den Tod seines Vaters abwarten muss. Der Sohn hat kein Gesetz übertreten, wohl aber die kulturelle Einstellung und, und das ist das entscheidende, die Beziehung zum Vater zerstört.

4. Durch die Erbauszahlung ist die gesamte Großfamilie betroffen. Der Reichtum der Großfamilie, den alle zusammen durch harte Arbeit erwirtschaftet haben, bestand aus Land, Vieh und Häusern und war nicht wie heute in Aktien und anderen Geldanlagen angelegt. Ein Drittel dieses Vermögen auf einmal zu verlieren war ein großer Verlust, der alle traf. Dem jüngeren Sohn waren diese Konsequenzen bewusst, aber er nahm darauf keine Rücksicht.

5. Es ist keine Dankbarkeit für das ungewöhnliche Entgegenkommen des Vaters zu spüren.

6. Er übernimmt keine Verantwortung für sein Erbteil. Wer sein Erbe annimmt, nimmt damit auch seine verantwortliche Position in der Großfamilie an. Er hat die Pflicht die Familie zu versorgen, den Reichtum zu vermehren und die Ehre der Familie zu verteidigen. Außerdem muss er die Familie bei Festivitäten würdig vertreten. Der Sohn macht genau das Gegenteil! Er verkauft alles und haut ab. Er nimmt seine Privilegien in Anspruch ohne die Verantwortung zu übernehmen.

7. Er trennt sich von seiner Familie und damit von seinen Wurzeln. Die Familie hatte damals eine sehr viel wichtigere Bedeutung als in unserer individualisierten Gesellschaft. Die Sicherheit eines Menschen lag in seiner Familie. Familie bedeutete für einen Menschen soziale Versicherung, Altersversorgung, Schutz und seelisches Wohlbefinden. Ebenso trennt er sich von seinem Dorf und damit seiner Heimat. Alles das wirft er weg und zieht als Vagabund von dannen. Ein Vagabund genießt wenig Vertrauen in der Bevölkerung. Oder jemanden als Vagabunden oder als jemand ohne Wurzeln zu bezeichnen ist eine große Beleidigung. Übertragen gesehen bietet auch die Familie Gottes jedem Mitglied dieselbe Sicherheit wie die Großfamilie der damaligen Zeit.

8. Er weigert sich, seinen Erbteil mit dem Vater gemeinsam zu besitzen (Eigentumsrecht). Er will allein über das Geld verfügen (Kaufrecht). Er will seinen Teil unabhängig von seinem Vater verwalten.

9. Er ist voll verantwortlich. Er hat diese Entscheidung ganz bewusst getroffen. Das Schaf (erste Geschichte) konnte sich aufgrund seines schlechteren Orientierungssinns verlaufen und die Münze (zweite Geschichte) ist ein lebloser Gegenstand, aber für den Sohn gelten diese Gründe nicht.

Der ältere Sohn

1. Er hat mich Sicherheit alles mitbekommen. In der dörflichen Struktur des Nahen Osten bekommt jeder alles mit. Auch die Details wird er gewusst haben.

2. Er mischt sich nicht in den Konflikt seines Vaters mit seinem Bruder ein. Bei einem Streit gibt es immer die Möglichkeit der Klärung und Versöhnung. In dieser schamorientierten Kultur werden die beiden direkt betroffenen Parteien sich nie allein versöhnen, denn das würde zu einem Gesichtsverlust führen. Man kann nicht voreinander zugeben einen Fehler gemacht zu haben. Deshalb braucht es einen Vermittler (Mediator). Der Mediator pendelt zwischen beiden Seiten, redet mit ihnen und verhandelt eine Lösung, die beide akzeptieren können. Es darf dabei keine Verlierer oder Gewinner geben. Auf diese Weise findet Konfliktlösung in dieser Kultur statt. Vom älteren Bruder würde unausgesprochen erwartet zwischen seinem Vater und seinem Bruder zu vermitteln. Er wäre der perfekte Mediator gewesen, der von beiden akzeptiert worden wäre. Doch er weigert sich diese Rolle einzunehmen. Somit übernimmt er an dieser Stelle keine Verantwortung für die Gemeinschaft. Es zeigt sich, dass auch seine Beziehung zum Vater gestört ist.

3. Seine Verweigerung kann darauf hindeuten, dass es um die Beziehung der Geschwister auch nicht gut bestellt war. Er wird froh gewesen sein, dass sein kleiner Bruder endlich die Fliege macht. Er wäre dann mit ein Grund, warum der Jüngere die Familie verlassen hat. Im Osten wird das Alter geehrt. Der Ältere hatte aufgrund seines Alters besondere Privilegien. Die führten zu Arroganz. Vielleicht hat das mit dazu beigetragen, dass die Brüderbeziehung schon vor dem von Jesus geschilderten Vorfall angespannt war.

4. Er hat seinen Bruder nicht vom Gehen abgehalten. Er hat ihn nicht versucht vom Bleiben zu überzeugen und ihn vor den Gefahren einer Reise gewarnt. Nichts dergleichen ist zu lesen.

Der Vater

Die Reaktion des Vaters ist völlig überraschend. Anstatt Verweigerung und Strafe gibt er seinem Sohn um was er bittet. Wohl wissend was die Bitte bedeutet, lässt er seinem Sohn seinen Willen. Und er bricht die Beziehung nicht ganz ab. Keine Reaktion deutet darauf hin, dass der Sohn für ihn damit gestorben ist. Gott ist nicht wie ein orientalischer Patriarch. Trotz der Schande, die ihm sein Sohn bereitet, bricht er nicht mit ihm.

Zur Fortsetzung geht es hier.

Der verlorene Sohn (Teil 2: Das verlorene Schaf)

Um die Geschichte des verlorenen Sohnes zu verstehen müssen wir den Kontext uns anschauen. Bevor Jesus zu dieser Geschichte kommt, erzählt er zwei andere Geschichten. Alle drei geschichten gehören zusammen. Darüber wer die Adressaten diese Geschichten sind und warum habe ich im ersten Teil geschrieben. Dazu einfach auf HIER klicken.

Die erste Geschichte

3 Er sprach aber zu ihnen dieses Gleichnis und sagte:

Hinein in diese Situation erzählt Jesus dieses Gleichnis (EZ). Das Gleichnis besteht aus drei Geschichten, die eine Einheit bilden. Wem erzählt er das Gleichnis? Mit „ihnen“ (3) sind eindeutig die murrenden Schriftgelehrten und Pharisäer gemeint. Damit ist das Gleichnis an eine ganz bestimmte Gruppe von Menschen gerichtet. An Menschen, die sich daran störten, dass Jesus in Beziehung mit den Ausgestoßenen der Gesellschaft lebte.

 4 Welcher Mensch unter euch, der hundert Schafe hat und eins von ihnen verloren hat, lässt nicht die neunundneunzig in der Wüste und geht dem verlorenen nach, bis er es findet?

Jesus nimmt ein Beispiel aus der Landwirtschaft. Die Pharisäer verdienten ihren Lebensunterhalt durch normale Arbeit. Das wurde von ihnen erwartet. Wer die Tora unterrichtete, durfte sich dafür nicht bezahlt lassen. Daher konnte Jesus die Pharisäer als Arbeiter ansprechen. Allerdings werden sie kaum Hirten gewesen sein, denn diese galten als unrein. Die Hirten waren normalerweise arme Männer, die ein Leben voller Entbehrungen führten. Möglich dagegen ist, dass sie Schafe besaßen. Doch sie hätten sich nicht selbst um sie gekümmert, sondern Hirten angestellt. Kein Gelehrter würde seinen Tag damit verbringen mit den Schafen durch die Gegend zu ziehen. Von daher war die Frage Jesu ungewöhnlich, denn aus Sicht der Pharisäer hätte sie eher lauten müssen: Wenn ein Herr von seinen Hirten erfuhr, dass ein Schaf verloren ging, dann hätte er den zuständigen Hirten losgeschickt, dass Schaf zu suchen.

Jesus verwendet in seiner Eingangsfrage die interessante Formulierung: „wenn er eines von ihnen verliert.“ Damit missachtet Jesus die normale indirekte Sprachgewohnheit seiner Zeit. Normalerweise gibt man sich die Schuld nie selbst und hätte formuliert: „wenn ein Schaf sich verlaufen hat“ oder „wenn ein Schaf verloren gegangen ist.“ Jesus dagegen spricht den Hirten direkt an und nimmt keine Rücksicht auf sein Ehrempfinden. Diese Abweichung ist wichtig. Letztlich sagt Jesus zu den Pharisäern: „Ihr habt euer Schaf verloren. Ich habe es gesucht und gefunden. Und jetzt kommt ihr  zu mir und beklagt euch. Was für eine Unverschämtheit! Schließlich bringe ich eure Fehler in Ordnung.“

Hundert Schafe zu besitzen ist ein beachtlicher Reichtum. War es nun vernünftig 99 Schafe zurückzulassen und das eine zu suchen? Die Frage dahinter ist was mehr zählt: der Eine oder das Kollektiv? Der Hirte entscheidet sich das eine Schaf zu suchen. Damit signalisiert er die Sicherheit von jedem Einzelnen: Du zählst! Hätte der Hirte auf das eine Schaf verzichtet, wäre jedem Schaf „bewusst“ gewesen, dass auch es im Zweifelsfall verloren wäre. Wenn jedoch der Hirte keine Mühen scheute das einzelne Schaf zu suchen, dann beinhaltet das größtmögliche Sicherheit.

Die Suche konnte mehrere Tage dauern. Die zerklüftete Wüste ist ein unwegsames Gelände und erschwert die Suche.

 5 Und wenn er es gefunden hat, so legt er es mit Freuden auf seine Schultern;

Nachdem der Hirte sein Schaf wiedergefunden hatte, legte er es über beide Schultern. Der Bauch des Tieres wurde gegen den Nacken gedrückt und die vier Beine vor dem Gesicht zusammen gebunden. Mit dieser Technik trugen die Hirten des Nahen Ostens ihre Schafe. So hatten sie das Tier voll unter Kontrolle und noch eine Hand frei zum Klettern.

Als der Hirte sein Schaf gefunden hatte, lag der schwerste Teil seiner Arbeit noch vor ihm. Er musste das schwere Tier durch abgeschiedenes unwegsames Gelände zur Herde tragen. Das war eine extrem anstrengende Arbeit. Es wäre mehr als verständlich, wenn der Hirt geflucht hätte oder gar gehofft, dass das Tier schon tot wäre. Doch der Hirte trägt das Tier mit Freuden (5). Ein tolles Bild über den guten Hirten Jesus, dem keine Last zu schwer ist, ein wiedergefundenes  Schaf zurück zur Herde zu führen. Mit Freude nimmt er diese Mühen und Schmerzen auf sich.

 6 und wenn er nach Hause kommt, ruft er die Freunde und die Nachbarn zusammen und spricht zu ihnen: Freut euch mit mir! Denn ich habe mein Schaf gefunden, das verloren war.

Zur der damaligen Zeit spielte die Großfamilie ein ganz andere Rolle als in unserer Zeit. Eine Familie lebte normalerweise als Großfamilie in einem Dorf zusammen. Der Zusammenhalt war groß und aus wirtschaftlichen Gründen auch nötig. Daher betraf der Verlust eines Schafes immer auch die gesamte Dorfgemeinschaft. Deshalb freute man sich gemeinsam, wenn ein verlorenes Schaf wieder gefunden und nach Hause gebracht werden konnte.

Genauso ist ein verlorener Mensch ein Verlust für die Familie Gottes. Wenn jemand verloren geht, sollte sie Gemeinschaft trauern. Und der Hirte, der das verlorene „Schaf“ zurückbringt, sollte als Held gefeiert werden.

Die Pharisäer waren als religiöse Führer die „Hirten Israels.“ Deshalb ist es verständlich, warum Jesus sie verantwortlich macht, wenn ein Schaf aus der Herde verloren geht.

Zusammenfassend macht der Hirte vier Dinge:

  • Er übernimmt Verantwortung für den Verlust
  • Er sucht nach dem Schaf ohne auf die Kosten zu achten
  • Er trägt das Schaf trotz der Mühen mit Freude heim
  • Er freut sich mit der Gemeinschaft über den Erfolg seiner Mission

 7 Ich sage euch: So wird Freude im Himmel sein über einen Sünder, der Buße tut, mehr als über neunundneunzig Gerechte, die die Buße nicht nötig haben.

Mit diesem Satz schließt Jesus die erste Geschichte ab. Damit zeigte er seinen Humor, denn es gibt keine „Gerechten“, die der Buße nicht bedürfen. Daher kann die Freude im Himmel auch nur minimal sein. Jesu Absicht mit dieser Aussage war es die Pharisäer an zwei Bibelstellen zu erinnern. In Jesaja 53,6 steht: „Wir gingen in die Irre wie Schafe“ und in Prediger 7,20: „Denn es ist kein Mensch so gerecht auf Erden, dass er nur Gutes tue und nicht sündige.“

Mit dieser Aussage erklärt Jesus auch die Bedeutung der Geschichte. Das verlorene Schaf steht für den reumütigen Sünder. Das hätte der Hörer nicht unbedingt erwartet oder doch? Das Schaf steht für Reue. Was will Jesus über Reue sagen? Reue hat etwas damit zu tun sich finden zulassen. Das Schaf ist verlorengegangen und hatte keine Überlebenschance mehr. Es kann nicht mehr tun außer zu hoffen, dass der Hirte es findet. Das Schaf, dass sich findet lässt wird zum Symbol für Reue. Reue ist keine Tat, durch die wir unsere Rettung verdienen. Der Sünder lässt sich finden und Heim bringen. Das ist Reue.

Im nächsten Teil geht es um die zweiten Geschichten in der Triologie. Ihr Titel lautet: Die verlorene Münze.