Auf den Spuren der Friedlichen Revolution – ein Reisebericht

„Ein Studium des Grenzregimes der DDR ist der beste Weg, sich dem Staat zu nähern, der gerade mystische Züge anzunehmen scheint, je länger er untergegangen ist. Denn nichts war so real wie diese Grenze zwischen den beiden Teilen Deutschlands: erst notdürftig gesichert, dann mit Stacheldraht, schließlich mit Zäunen, Gräbern, Türmen, Bunkern, Minen, Selbstschussanlagen und einer Mauer – was für ein Staat! Wer sie überqueren durfte, galt im ostdeutschen Volksmund als „grenzmündig“. Grenzwächter liefen nie allein, denn hier galt mehr als anderswo, dass der eine auf den anderen aufpassen musste.“ FAZ 25.03.2009

Im November 2009 bin ich mit Freunden anlässlich des 20jährigen Gedenkens an den Mauerfall mit dem Auto die ehemalige innerdeutschen Grenze entlang gefahren. Ich habe diesen Teil deutscher Geschichte entdeckt und möchte sie gerne daran teilhaben lassen und von meinen Eindrücken aus dem Grenzgebiet erzählen. Anhand von rund 100 Aufnahmen werden die Spuren der 1.378 Kilometer langen ehemaligen deutsch-deutschen Grenze gezeigt. Angefangen am einstigen Dreiländereck bei Prex geht es mit dem Auto im Grenzgebiet bis hoch zur Ostseeküste. Das geteilte Dorf Mödlareuth, das Grenzmuseum Teistungen im Eichsfeld, Point Alpha bei Geisa, der Grenzkontrollpunkt Marienborn, die Dorfrepublik Rüterberg, die Halbinsel Priwall und schließlich Berlin – dies sind einige der Höhepunkte des Vortrags. Neben der Erläuterung des Aufbaus der Grenzanlagen und der historischen Hintergründe gibt es interessante Anekdoten von der Reise, die verdeutlichen, wie groß dieses Wunder der Friedlichen Revolution war.

Grenzgänger-Tour: Tag 5

Es ist der 9.11.2009. Vor 20 Jahren fiel die Mauer in Berlin. Es fühlt sich großartig an, an diesem Tag hier in dieser Stadt zu sein. Der Tag beginnt so unspektakulär wie wahrscheinlich vor 20 Jahren auch.

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Nach einem ausgiebigen Frühstück machen wir uns auf und fahren zur Bernauer Straße. Hier sehen wir die ersten Reste der noch erhaltenden Berliner Mauer. Ich war noch nie hier sondern kenne diesen Teil nur aus dem Fernsehen. Die Bernauerstraße erlangte Berühmtheit durch spektakuläre Fluchtaktionen aus den Fenstern von Häusern im Ostteil Berlins auf die Straße, deren Bürgersteig bereits in West-Berlin lag. Die nach Westen gelegenen Eingänge und Fenster dieser Häuser wurden sukzessive zugemauert, die Dächer mit Sperren versehen. Im Herbst 1961 hatte man die letzten Grenzhäuser dann zwangsgeräumt; die Gebäude wurden in den Jahren nach 1963 schließlich ganz abgetragen, um zu militärisch „übersichtlichen“ Verhältnissen unmittelbar an die Mauer zu kommen. Selbst eine Kirche, die direkt auf dem Todesstreifen wurde gesprengt.  Zehn Personen bezahlten ihre Fluchtversuche an dieser Stelle mit dem Leben. Eine Gedenkstätte erinnert hier an diese Geschehnisse. Wir steigen auf den Turm des Museums und blicken von oben auf die Grenzanlagen. Direkt dahinter liegt ein Friedhof. Was für eine Symbolik! Wir gehen zurück zu den Mauerrsten und zünden Kerzen im Gedenken an die Mauertoten an und laufen den Mauerweg bis zum Hauptbahnhof und bekommen so einen Eindruck vom Mauerverlauf. Im Zick Zack geht es durch die Stadt. Wie eine Schneise zog sich die Grenzanlagen durch Berlin. Durch die vielen Neubauten in diesem Gebiet wird das heute nicht mehr ganz so deutlich. Berlin – eine geteilte Stadt. Zum ersten Mal bekomme ich einen Eindruck davon, was das bedeutet haben muss. Du läufst und es geht plötzlich nicht mehr weiter, du steigst in die U-Bahn und es geht plötzlich auch nicht mehr weiter. Der U-Bahnhof der U8, der bei der Bernauerstraße unter der Kreuzung mit der Brunnenstraße liegt war beispielsweise während der Teilung geschlossen und galt als Geisterbahnhof. Heute gibt dort eine Ausstellung einen Einblick in dieses Thema.

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Einige Meter weiter am Humboldthafen kommen wir an die Stellen, an der mit Günter Litfin, der erste Mensch an der Grenze sein Leben ließ. Er versuchte am 24. August 1961 in die BRD zu fliehen. Dabei wurde er von der Transportpolizei entdeckt. Er sprang in den Humboldthafen versuchte schwimmend die Westberliner Seite zu erreichen. Nach Warnschüssen wurde er durch gezielte Schüsse getötet. Die Wasserfläche des Hafens gehörte zu Ostberlin. Westberlin begann erst an der Ufermauer. Wir sehen noch den Wachturm, der heute als Gedenkstätte dient. Sein Bruder Jürgen hat sie ins Leben gerufen. Wir laufen am Hafenufer, lesen die Tafeln, die über den ersten Mauertoten berichten und laufen betroffen weiter zum Hauptbahnhof. Von dort fahren wir mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zum Checkpoint Charlie. Der Checkpoint Charlie war einer der bekanntesten Berliner Grenzübergänge. Er verband in der Friedrichstraße zwischen Zimmerstraße und Kochstraße den sowjetischen mit dem amerikanischen Sektor. Der Kontrollpunkt wurde im August 1961 in Folge des Mauerbaus eingerichtet, um die Grenzübertritte des westalliierten Militärpersonals und ausländischer Diplomaten erfassen zu können. Die Dunkelheit bricht schon herein, während sich hier viele Menschen tummeln. Zahlreiche Souvenierhändler bieten hier sowjetische Mützen und amerikanische Abzeichen an. Heute kann man Männer in Original-Grenzmontur fotografieren. Wir genießen das Treiben hier und machen uns auf den Weg zum Fest der Freiheit, den offiziellen Feierlichkeiten zum Jubiläum 20 Jahre Mauerfall. Es fängt nun an zu regnen und wir sind froh Regenschirme dabei zu haben. Vom Potsdamer Platz aus Richtung Brandenburger Tor sind die Dominosteine schon auf gebaut. Fast eintausend Dominosteine sind aufgestellt. Sie wurden von Jugendlichen, Künstlern und kreativen Gruppen gestaltet worden. Internationale Anbindung erhält das Projekt u.a. durch die „Mauerreise“. Einige Dominosteine wurden in Länder gebracht, in denen Teilung und Grenzerfahrung noch immer den Alltag prägen und von ihnen künstlerisch gestaltet. Während der Feierlichkeiten werden  die Dominosteine umgestoßen und ein Dominoeffekt erzielt. Der „Domino-Effekt“ steht gedanklich für viele Menschen, mutige Akteure sowie Zeitzeugen der Friedlichen Revolution Ende der 1980er Jahre. Aus Protesten Einzelner wurde eine entschlossene, aber friedliche Massenbewegung.

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Das „Fest der Freiheit“ am 9. November will auch vermitteln, dass die Ereignisse von 1989 und der Fall der Mauer nicht nur Deutschland, sondern Europa und die Welt verändert haben: „Deutsche Geschichte mit Dominoeffekt“. Trotz des schlechten Wetter harren wir hier aus und sind glücklich an diesem historischen Tag in Berlin zu sein. Wir stehen am Holocoustmahnmal und schauen auf die Leinwand und die Dominosteine. Die Show verläuft eher schleppend. Klassische Musik und viele Reden von den anwesenden Politikern langweilen mich zunehmend. Das gesamte Fest wirkt unnötig in die Länge gezogen. Dennoch amüsieren wir uns. Ich entdecke viele Menschen, die aus ganz Europa extra nach Berlin angereist sind und freue mich darüber. Endlich fallen die Dominosteine. Begeisterung bei den Massen. Eine geniale Symbolik! Ich bin berührt, der absolute Höhepunkt des Tages. Insgesamt bin ich aber vom Fest der Freiheit enttäuscht. Es ist weniger ein Fest der Bürger, als ein fernsehtauglich inszenierter Staatsakt. Das Volk wollte feiern, der Rahmen gab es leider nicht her.

Grenzgänger-Tour: Tag 4

Nach dem Frühstück in unserer Unterkunft, die fast alle meine Kliechees über „DDR-Unterkünfte“ erfüllte, begaben wir uns auf einen Spaziergang durch das Dorf Rüterberg. Wir sind positiv erstaut über diesen Ort. Die Backsteinhäuser sind eigentlich alle renoviert und geben den Eindruck, dass hier eher wohlhabende Menschen leben. Uns gefällt dieser nordische Stil, den wir überhaupt nicht gewohnt sind.

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(Blick von Rüterberg auf die Elbe)

Für Rüterberg ist heute ein besonderer Tag. Heute (8.11.09) vor 20 Jahren haben die Einwohner die als Protest gegen die Isolierung und jahrelange Demütugung durch die DDR die Dorfrepublik Rüterberg ausgerufen. Als Vorbild dienten die Schweizer Urkantone. Vaterder Initiative war der Schneidermeister Hans Rasenberger, der sich bereits Jahre zuvor mit der Geschichte der Schweiz und den dortigen Dorfgemeinschaften beschäftigte. Als er 1988 Verwandte in der BRD besuchen durfte, kostete er die Reisefreiheit zwischen der BRD, der Schweiz und Frankreich aus und hörte bei den Feierlichkeiten zum Nationalfeiertag der Schweiz den Rütlischwur. Auf einer Versammlung legte Rasenberger ein sorgfältig vorbereitetes Dokument vor, in dem es darum ging, sich in einer Dorfrepublik fortan die eigenen Gesetze zu schaffen und sich nicht länger von der DDR-Führung bevormunden zu lassen. Die Bewohner beschlossen einstimmig die Einrichtung der Dorfrepublik. Bereits einen Tag später fiel die Berliner Mauer und Rüterberg war zwei Tage später frei zugänglich. Wir sehen einen ehemaligen Grenzturm und gehen an die Elbe. Von einem neu angelegten Aussichtsturm überblicken wir die Elbe, die sich hier um Rüterberg schlingelt. Leider ist das Wetter, wie kaum anders zu erwarten, nicht das Beste. Nebelverhangen schauen wir Angler bei ihrer Tätigkeit zu und freuen uns, dass sie das jetzt hier dürfen. Am Mahnmal, einem kleinen Stück Zaun, versuchen wir uns ein Bild von dem früheren Dorf zu machen. Wie viele versuchten hier in den Westen zu fliehen? Wie viele Tote gab es hier? Wie ging es den Menschen mit der ständigen Bewachung? Alles Fragen, auf die wir zwar keine Antworten finden, doch wir bekommen mehr und mehr ein Gespür für das Leben im Grenzgebiet.

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(Nördlichster Punkt der ehemaligen Grenze. Der Steg markiert den Gernzverlauf)

Nachdem wir in Rüterberg die Einkesselung auf der Ostseite sahen durften wird uns in Priwall ein Bild von der Einengung für Westbürger ansehen. Auf dem Weg zum nördlichsten Punkt der innerdeutschen Grenze fahren wir durch Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein. Die Gegend ist dünnbesiedelt und karg. Feld an Feld reiht sich hier, nur unterbrochen von Straßen und kleinen Dörfern. Wobei die Dörfer hier so klein sind, dass man schon kam mehr von einem Dorf sprechen kann. Ich bewundere die Menschen dir ihr leben, einer Gegend Deutschlands, die ich kaum kenne und die mir fremd ist. Wir erreichen die Halbinsel Priwall, die nur über eine Straße zu erreichen ist, die von der Ostseite her kommt. Zu DDR-Zeiten war Priwall, dass zu Travemünde gehört, nicht mit dem Auto zu erreichen, sondern nur mit der Fähre. Wir setzen uns in ein kleines Restaurant und essen leckeren Fisch. Danach laufen wir zur Ostsee und freuen uns das Meer zu sehen.  Hier auf Priwall deutet aber auch gar nichts mehr auf den ehemaligen Grenzverlauf hin. Nur einen Stein mit einer Aufschrift sollten wir finden. Erst auf Nachfragen bei Einheimischen finden wir die Grenze. Wenn sie uns nicht den Weg gezeigt hätte, hätten wir keine Chance gehabt unser Ziel zu finden. Das irritiert uns. Wir wünschen uns, dass hier an dieser besonderen Stelle unserer Geschichte eine angemessenes Hinweisschild gibt.  Rauer Wind weht hier an der Ostsee. Über 1400km war die Grenze lang und erst jetzt kann ich diese Dimension einschätzen. Ich will nicht wissen, wie viel Energie und Ressourcen dieses Monstrum gefressen hat. Erschütternd zu sehen, zu was unser Volk fähig war. Froh die Grenze noch gefunden zu haben machen wir uns auf den Weg nach Berlin. Kontrastprogramm pur: von den einsamen Weiten des Nordostens in unsere Berliner Wohnung direkt am Kurfürstendamm. Morgen werden wir die Teilung Berlins erkunden und an den offiziellen Feierlichkeiten zum 9.11. am Pariser Platz teilnehmen.

Wie es uns auf dem fünften Tag unserer Tour erging und was wir in Berlin erlebt haben, erfahrt iht hier.