Auf den Spuren der Friedlichen Revolution – ein Reisebericht

„Ein Studium des Grenzregimes der DDR ist der beste Weg, sich dem Staat zu nähern, der gerade mystische Züge anzunehmen scheint, je länger er untergegangen ist. Denn nichts war so real wie diese Grenze zwischen den beiden Teilen Deutschlands: erst notdürftig gesichert, dann mit Stacheldraht, schließlich mit Zäunen, Gräbern, Türmen, Bunkern, Minen, Selbstschussanlagen und einer Mauer – was für ein Staat! Wer sie überqueren durfte, galt im ostdeutschen Volksmund als „grenzmündig“. Grenzwächter liefen nie allein, denn hier galt mehr als anderswo, dass der eine auf den anderen aufpassen musste.“ FAZ 25.03.2009

Im November 2009 bin ich mit Freunden anlässlich des 20jährigen Gedenkens an den Mauerfall mit dem Auto die ehemalige innerdeutschen Grenze entlang gefahren. Ich habe diesen Teil deutscher Geschichte entdeckt und möchte sie gerne daran teilhaben lassen und von meinen Eindrücken aus dem Grenzgebiet erzählen. Anhand von rund 100 Aufnahmen werden die Spuren der 1.378 Kilometer langen ehemaligen deutsch-deutschen Grenze gezeigt. Angefangen am einstigen Dreiländereck bei Prex geht es mit dem Auto im Grenzgebiet bis hoch zur Ostseeküste. Das geteilte Dorf Mödlareuth, das Grenzmuseum Teistungen im Eichsfeld, Point Alpha bei Geisa, der Grenzkontrollpunkt Marienborn, die Dorfrepublik Rüterberg, die Halbinsel Priwall und schließlich Berlin – dies sind einige der Höhepunkte des Vortrags. Neben der Erläuterung des Aufbaus der Grenzanlagen und der historischen Hintergründe gibt es interessante Anekdoten von der Reise, die verdeutlichen, wie groß dieses Wunder der Friedlichen Revolution war.

Grenzgänger-Tour Tag 6

Heute ist es soweit, der letzte Tag unserer Grenzgänger-Tour steht bevor. Wir haben uns auf die Spuren der Friedlichen Revolution gemacht und dabei einiges erlebt. Beginnend in Leipzig sind wir von Regnitzolsau, im Dreiländereck Sachsen, Bayern und Tschechien, die Grenze entlang bis auf die Halbinsel Priwall gefahren, um gestern an den Feierlichkeiten zum 20.Jahrestag des Mauerfalls teilzunehmen. Bevor den Heimweg nach Meiningen antreten machen wir noch einen Abstecher nach Wandlitz. Wandlitz liegt circa 20 Kilometer nordöstlich von Berlin innerhalb in einem Brandenburger Großschutzgebiet und ist von Mischwald und drei Seen umgeben. Bekannt wurde der Ort zu DDR-Zeiten durch die nahegelegene Waldsiedlung, in der die Mitglieder des Politbüros des Zentralkomitees der SED unter anderem Walter Ulbricht, Günter Mittag, Erich Honecker und Erich Mielke wohnten. Die Waldsiedlung war ein militärisch streng abgeschottete Objekt lag abseits sonstiger Besiedlung. Leider hatte ich mich unzureichend vorbereitet und so suchten wir die Waldsiedlung vergebens. Heute ist dort, was ich vorher nicht wusste, eine Reha-Einrichtung angesiedelt. Wir sind daran knapp vorbeigefahren und da wir nicht mehr die Kraft und Lust hatten uns durchzufragen, sind wir en Heimweg angetretten. Dennoch bekommen wir einen Eindruck vom Leben bei Wandlitz, seiner wunderschönen Umgebung und dem unrühmlichen Fakt Wohngebiet von Diktatoren gewesen zu sein. Ich frage mich, wie es den Wandlitzern heute mit der Siedlung geht?

Quelle: http://personal.georgiasouthern.edu/~hkurz/geo/ddr/ddr-bez.jpg

Abends kommen wir wieder in Meiningen an. Wir haben 2500 km hinter uns gebracht. Eine ereignisreiche Zeit liegt hinter uns. Ich habe einenn guten Eindruck von der Grenze bekommen. Wie lang 1700km sind ist mir nun klarer. Durch unwegsames Gelände und offene Landschaft durchzog sich der Todesstreifen. Ein Monstrum, ein Wahnsinnsprojekt, das Deutschland teilte.

In der Bibel fordert Gott sein Volk immer wieder dazu auf sich da die Vergangenheit zu erinnern. Wenn sie das taten war das kein intellektuelles Sich-deutlich-machen, sondern meist ein Fest. Diese Tour war für mich auch eine Erinnerungsfahrt. Ich habe mich diesem Teil deutscher Geschichte gestellt. Ich war vor Ort, ich habe beobachtet und einen Einblick in die Dimension der Teilung bekommen – das wird mir weit mehr in Erinnerung bleiben als jeder Film oder jedes Buch.

Grenzgänger-Tour: Tag 5

Es ist der 9.11.2009. Vor 20 Jahren fiel die Mauer in Berlin. Es fühlt sich großartig an, an diesem Tag hier in dieser Stadt zu sein. Der Tag beginnt so unspektakulär wie wahrscheinlich vor 20 Jahren auch.

20091109_0108x

Nach einem ausgiebigen Frühstück machen wir uns auf und fahren zur Bernauer Straße. Hier sehen wir die ersten Reste der noch erhaltenden Berliner Mauer. Ich war noch nie hier sondern kenne diesen Teil nur aus dem Fernsehen. Die Bernauerstraße erlangte Berühmtheit durch spektakuläre Fluchtaktionen aus den Fenstern von Häusern im Ostteil Berlins auf die Straße, deren Bürgersteig bereits in West-Berlin lag. Die nach Westen gelegenen Eingänge und Fenster dieser Häuser wurden sukzessive zugemauert, die Dächer mit Sperren versehen. Im Herbst 1961 hatte man die letzten Grenzhäuser dann zwangsgeräumt; die Gebäude wurden in den Jahren nach 1963 schließlich ganz abgetragen, um zu militärisch „übersichtlichen“ Verhältnissen unmittelbar an die Mauer zu kommen. Selbst eine Kirche, die direkt auf dem Todesstreifen wurde gesprengt.  Zehn Personen bezahlten ihre Fluchtversuche an dieser Stelle mit dem Leben. Eine Gedenkstätte erinnert hier an diese Geschehnisse. Wir steigen auf den Turm des Museums und blicken von oben auf die Grenzanlagen. Direkt dahinter liegt ein Friedhof. Was für eine Symbolik! Wir gehen zurück zu den Mauerrsten und zünden Kerzen im Gedenken an die Mauertoten an und laufen den Mauerweg bis zum Hauptbahnhof und bekommen so einen Eindruck vom Mauerverlauf. Im Zick Zack geht es durch die Stadt. Wie eine Schneise zog sich die Grenzanlagen durch Berlin. Durch die vielen Neubauten in diesem Gebiet wird das heute nicht mehr ganz so deutlich. Berlin – eine geteilte Stadt. Zum ersten Mal bekomme ich einen Eindruck davon, was das bedeutet haben muss. Du läufst und es geht plötzlich nicht mehr weiter, du steigst in die U-Bahn und es geht plötzlich auch nicht mehr weiter. Der U-Bahnhof der U8, der bei der Bernauerstraße unter der Kreuzung mit der Brunnenstraße liegt war beispielsweise während der Teilung geschlossen und galt als Geisterbahnhof. Heute gibt dort eine Ausstellung einen Einblick in dieses Thema.

20091109_0121x

Einige Meter weiter am Humboldthafen kommen wir an die Stellen, an der mit Günter Litfin, der erste Mensch an der Grenze sein Leben ließ. Er versuchte am 24. August 1961 in die BRD zu fliehen. Dabei wurde er von der Transportpolizei entdeckt. Er sprang in den Humboldthafen versuchte schwimmend die Westberliner Seite zu erreichen. Nach Warnschüssen wurde er durch gezielte Schüsse getötet. Die Wasserfläche des Hafens gehörte zu Ostberlin. Westberlin begann erst an der Ufermauer. Wir sehen noch den Wachturm, der heute als Gedenkstätte dient. Sein Bruder Jürgen hat sie ins Leben gerufen. Wir laufen am Hafenufer, lesen die Tafeln, die über den ersten Mauertoten berichten und laufen betroffen weiter zum Hauptbahnhof. Von dort fahren wir mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zum Checkpoint Charlie. Der Checkpoint Charlie war einer der bekanntesten Berliner Grenzübergänge. Er verband in der Friedrichstraße zwischen Zimmerstraße und Kochstraße den sowjetischen mit dem amerikanischen Sektor. Der Kontrollpunkt wurde im August 1961 in Folge des Mauerbaus eingerichtet, um die Grenzübertritte des westalliierten Militärpersonals und ausländischer Diplomaten erfassen zu können. Die Dunkelheit bricht schon herein, während sich hier viele Menschen tummeln. Zahlreiche Souvenierhändler bieten hier sowjetische Mützen und amerikanische Abzeichen an. Heute kann man Männer in Original-Grenzmontur fotografieren. Wir genießen das Treiben hier und machen uns auf den Weg zum Fest der Freiheit, den offiziellen Feierlichkeiten zum Jubiläum 20 Jahre Mauerfall. Es fängt nun an zu regnen und wir sind froh Regenschirme dabei zu haben. Vom Potsdamer Platz aus Richtung Brandenburger Tor sind die Dominosteine schon auf gebaut. Fast eintausend Dominosteine sind aufgestellt. Sie wurden von Jugendlichen, Künstlern und kreativen Gruppen gestaltet worden. Internationale Anbindung erhält das Projekt u.a. durch die „Mauerreise“. Einige Dominosteine wurden in Länder gebracht, in denen Teilung und Grenzerfahrung noch immer den Alltag prägen und von ihnen künstlerisch gestaltet. Während der Feierlichkeiten werden  die Dominosteine umgestoßen und ein Dominoeffekt erzielt. Der „Domino-Effekt“ steht gedanklich für viele Menschen, mutige Akteure sowie Zeitzeugen der Friedlichen Revolution Ende der 1980er Jahre. Aus Protesten Einzelner wurde eine entschlossene, aber friedliche Massenbewegung.

20091109_0137x

Das „Fest der Freiheit“ am 9. November will auch vermitteln, dass die Ereignisse von 1989 und der Fall der Mauer nicht nur Deutschland, sondern Europa und die Welt verändert haben: „Deutsche Geschichte mit Dominoeffekt“. Trotz des schlechten Wetter harren wir hier aus und sind glücklich an diesem historischen Tag in Berlin zu sein. Wir stehen am Holocoustmahnmal und schauen auf die Leinwand und die Dominosteine. Die Show verläuft eher schleppend. Klassische Musik und viele Reden von den anwesenden Politikern langweilen mich zunehmend. Das gesamte Fest wirkt unnötig in die Länge gezogen. Dennoch amüsieren wir uns. Ich entdecke viele Menschen, die aus ganz Europa extra nach Berlin angereist sind und freue mich darüber. Endlich fallen die Dominosteine. Begeisterung bei den Massen. Eine geniale Symbolik! Ich bin berührt, der absolute Höhepunkt des Tages. Insgesamt bin ich aber vom Fest der Freiheit enttäuscht. Es ist weniger ein Fest der Bürger, als ein fernsehtauglich inszenierter Staatsakt. Das Volk wollte feiern, der Rahmen gab es leider nicht her.

Grenzgänger-Tour: Tag 3

Nach einer zu kurzen Nacht und herrlichem Frühstück in Großburschla brechen wir auf in Richtung Teistungen im Eichsfeld. In Großburschla überqueren wir die nach dem Mauerfall gebaute Brücke über die Werra, die uns nach Hessen führt. Die Werra war hier zu DDR-Zeiten Grenzfluss. Großburschla war nur über eine einzige Straße, die über einen kleinen Berg führte erreichbar. Ansonsten waren die Großburschlaner umzingelt von der Grenze, lebte also in einem kleinen Gefängnis, an dass sich die Bewohner aber gewöhnt hatten.

20091107_0062x

(Grenzanlagen zwischen Teistungen und Duderstädt)

Nach einer Stunde erreichen wir das Grenzlandmuseum in Teistungen. Das nette Museum gibt einen kurzen guten Überblick über die Grenze und wie die katholische Bevölkerung im Eichsfeld sich gegen die SED-Funktionäre auflehnte und beispielsweise sich nicht an der Jugendweihe beteilgte, sondern sich firmen ließ. Oder wir man zu Allerheiligen einfach frei machte, um an den Prozessionen teilnahm. Wie sagte ein Schild im Museum so treffend: Regierungen kommen und gehen, Gott ist und bleibt immer da. Uns interessiern aber vor allem die Außenanlagen. Wir laufen einige Meter auf dem Kontrollstreifen entlang der ehemaligen Grenze auf eine Anhöhe. Wir blicken auf die vielen noch erhaltenen Rest der Grenzanlagen und beobachten eine Gruppe von Sporttreibenden. Sie nützen den ehemaligen Kontrollstreifen als Laufweg und machen gymnastische Übungen. Erst verwundert mich das und ich bin ein wenig irritiert, doch schon bald erkenne ich dahinter ein schönes Bild. An der Grenze, die viel Leid und Tod gebracht hat, auf deren Boden unschuldiges Blut vergossen wurde, ist heute ein Ort für Leben. Menschen bewegen sich, tun etwas für ihre Gesundheit und erfreuen sich dabei. Davon wünsche ich mir mehr. Hier wird die Grenze sinnvoll genutzt. Die Spuren ihrer Existenz sind für alle sichtbar, doch diese Zeit ist vorbei. Trennung, Tod und Schmerz sind Sport, Gesundheit und Leben gewichen.  100 Meter weiter steht ein Spaßbad – mitten auf dem Grenzstreufen. Dorthin kommen Menschen aus Ost und West und verbringen ihre Zeit. Gut, dass sich die Zeiten geändert haben und ganz natürliche Berührungen entstehen können. Wie sagte eine Frau treffend, die wir dort trafen: „Wir konnten damals überall hinfahren. Ich war in Amerika, ich hätte nach Afrika gekonnt, aber nicht zu meiner Familie in die DDR.“ Ihr aus dem Westen stammender Sohn half dem Widerstand in der DDR und wurde gefasst und festgehalten.

20091107_0093x

(Die Transit-Grenzalnagen von Marienborn)

Die Zeit drängt. Wir haben heute noch eine ganze Strecke vor uns. Als nächstes geht es nach Marienborn, dass direkt an der Autobahn A2 liegt. Marienborn war einer der zehn passierbaren Straßenübergänge und einer von acht Bahnübergängen von der BRD in die DDR. In Marienborn ist noch ein Großteil der alten Transit-Grenzanlagen erhalten. Wir besichtigen den Ort. Heute ein Ort der Stille. Wo bis vor zwanzig Jahren rund um die Uhr umtriebiges Leben herrschte, ist heute Stillstand. Die auch hier perfekt errichteten Kontrollanlagen zeugen von dem Überwachungsstaat DDR. Wir sind beeindruckt, besonders von dem Frieden, der von diesem Ort ausgeht. Es fällt uns unglaublich leicht hier zu beten. Wir beten, dass Menschen Frieden finden mit der damaligen Zeit. Dieser Frieden entsteht aber nur, wenn Unrecht aufgedeckt und benannt wird; wenn Vergebung ausgesprochen wird und Raum für Versöhnung ist. Vieles ist noch verdunkelt: Zwangsumsiedlungen, Zwangsadoptionen, Mord an Regimekritikern, Umgang mit den Gastarbeitern, Familientrennungen usw. Es wird Zeit, dass die wissenschaftlichen Forschungen bei der breiten Masse ankommt. Ich hoffe, dass viele Bücher über diese Thematiken gelesen werden – damit Unrecht nicht im Verborgenen bleibt. Wir lassen Marienborn hinter uns und machen uns auf den Weg nach Mecklenburg-Vorpommern. Ein kleines Dorf mit Namen Rüterberg ist unser Ziel und wird uns als Übernachtung dienen. Idyllisch an der Elbe gelegen galt Rüterberg als Bollwerk gegen den Imperialismus. Komplett von den Sperranlagen der Grenze eingeschlossen, riefen die Bewohner des Dorfes auf einer Versammlung im Gemeindehaus am Abend des 8. Novembers 1989 die Dorfrepublik Rüterberg aus. Die Nachricht von der Dorfrepublik ging um die ganze Welt.

Teil 4 des Reiseberichts über die Grenzgängertour könnt ihr hier lesen. Die Reise führte von Rüterberg zur Halbinsel Priwall an der Ostsee nach Berlin.

Grenzgänger-Tour: Tag 1

20 Jahre nach dem Wunder der Friedlichen Revolution mache ich mich mit zwei Freunden auf, diesen Teil unserer Deutschen Geschichte für mich zu entdecken. Gerade in diesen Tagen wird an dieses Ereignis in vielen Veranstaltungen gedacht, unzählige Bücher überschwemmen den Markt und es vergeht kein Tag, da dem Fernsehzuschauer eine Dokumentation über das Leben in der DDR und die Chronologie der damaligen Ereignisse präsentiert bekommt. Ich will mir nun mein eigenes Bild machen – von der Grenze und dem Wunder des Mauerfalls. Und ich will Gott danken, dass er seine Hand im Spiel hatte und will beten, dass er auch weiterhin Frieden schenkt und gnädig mit unserem Land souverän ist.

IMG_8801k

Wo sollte man anders starten als in Leipzig. Leipzig gilt wie keine zweite Stadt für die Brutstätte des friedlichen Widerstands. Schon seit Jahren trafen sich dort Menschen, um zu beten. Später gingen sie dann auch auf die Straße und verstärkten so ihren Protest. Mir ist bewusst, dass es in vielen Städten und Dörfer unterschiedlichste Formen von Protest gab, die die kreative Kraft der Menschen eindrucksvoll zeigt. Doch Leipzig hängt dieser spezielle Ruf an. Diese Stadt zog die Menschen an, um zu protestieren und sie erlebte wie trotz angespannter Atmosphäre die Waffen schwiegen. Noch immer strahlt von der Nikolaikirche dieser spezielle Lebenswille aus. Die Kirche selbst mit ihrem steinernem Gemäuer lässt kaum erahnen wie fast schon prunkvoll sie von innen ist. Die schwarz gefärbten Steine lassen eher eine rustikale Innenausstattung erwarten. Stattdessen verschnörkelte, bunte Vielfalt an Decken und Wänden. Wirken allgemein viele solcher großen Kirchen auf mich eher leblos und leer, so ist die Nikolaikirche das Gegenteil. Sie lebt und lädt gerade dazu ein sich hinzusetzen und Gott zu suchen. Kinderbilder hängen neben alten Gemälden. Das Kirchencafe befindet sich im Nebenflügel und der Duft von Kuchen und Kaffee erfüllt Teile der Kirche. Etliche Zettel und Aufhänger fordern zum Gebet für aktuelle Anliegen auf. Hier ist Leben und lässt die Kirche nicht als ein rein geschichtlicher Ort verkommen, in dem Touristen ehrfürchtig die architektonische Leistung bestaunen. Hier lässt es sich aushalten und nicht nur dort. Leipzig begeistert mich. Sie hat nicht die Kulturbauten wie Dresden, wirkt aber unglaublich sympathisch. Wir beten an der Nikolaikirche. An diesem historischen Ort fällt uns das leicht. Zuvor schauten wir uns die Dauerausstellung des Zeitgeschichtlichen Forums Leipzig zur zeitgenössischen Geschichte unseres Landes an. Ich kann sie nur jedem empfehlen. Vom Ende des zweiten Weltkriegs wird die Deutsche Geschichte des Ostteils kreativ, anschaulich und multimedial gezeigt. Unzählige Dokumente wie Schriftstücke, Originaltonmitschnitte, Lebensgeschichten, Nachbauten schildern die Ereignisse und machen sie lebendig. Einfach sehr bewegend.

IMG_8785k

Nachdem wir uns Leipzig noch ein wenig spaziergend erschloßen haben, machen wir uns auf den Weg nach Regnitzlosau. Einen Ort, den ich zuvor auch noch nicht gehört habe, aber der in einer geographisch höchst interessanten Stelle liegt, nämlich im Grenzgebiet von Sachsen –Bayern-Tschechien. Regnitzlosau ist Ausgangspunkt unserer Reise entlang der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze. In Bayern gelegen war dieser Ort vom eisernen Vorhang umgeben. Es ist gut im ehemaligen Grenzgebiet sich aufzuhalten. Zu spüren wie sich das Leben ihr heute anfühlt und mit Menschen in Kontakt zu kommen.

Hier geht es zum Bericht über den zweiten Tag: Regnitzlosau-Mödlareuth-Point Alpha-Großburschla.

Gebetstour: Entlang der ehem. innerdeutschen Grenze

9. November 1989: An diesem Tag findet in Deutschland der Kalte Krieg ohne einen einzigen Schuss sein definitives Ende. Der Eiserne Vorhang, der die Welt geteilt und Berlin mit einer Mauer getrennt hatte, hebt sich. Die Grenze zwischen Ost und West gehört der Geschichte an.

20 Jahre später: Voller Dankbarkeit wollen wir auf die Ereignisse von damals zurückblicken, aber wir wollen uns nicht untätig zurücklehnen. Ost und West sind auf der Landkarte geeint, doch in den Herzen sind wir weit davon entfernt. Die Wiedervereinigung vollzog sich in rasendem Tempo. Die meisten Deutschen hat dies völlig überfordert, viele sind übergangen worden und fühlen sich als Verlierer, doch andere haben die Einheit als Chance wahrgenommen und genießen nun die Freiheit. Wie steht es mit der Aufarbeitung dieser 40jährigen Episode deutscher Geschichte? Hier sehen wir noch viel Nachholbedarf.

7314-3252-4641-img0022-4

Fotograf: Frederik Ramm – http://www.remote.org/frederik/culture/berlin

Die Zahl 40 steht in meinen Augen für eine Buß-, Bewährungs- und Offenbarungsfrist: 40 Tage hatte Ninive Zeit, um umzukehren und Buße zu tun (Jona 3); 40 Jahre musste sich das Volk Israel in der Wüste bewähren, ehe es in das neue Land durfte (2Mo 16,35); 40 Tage verbrachte Mose auf dem Berg Sinai und empfing dort die 10 Gebote (2Mo 24,18) und 40 Tage wirkte Jesus zwischen seinem Tod und seiner Auferstehung auf der Erde und lehrte die Jünger (Apg 1,3).

Vor 20 Jahren hat Gott unser Land verändert und uns in eine neue Ära geführt. 20 Jahre stehen symbolisch für die Halbzeit. Was hat sich getan? Was muss noch geschehen?

Gott hat mir die Ost-West-Thematik aufs Herz gelegt. 2009/2010 steht für mich im Zeichen von 20 Jahren Mauerfall. Gott hat mich gerufen, meinen Fokus im Gebet darauf zu richten. Als gebürtiger Westdeutscher, der vor fast acht Jahren nach Ostdeutschland gezogen, bin ich mit der Thematik konfrontiert. Mein Bild von Ostdeutschland und den dort lebenden Menschen hat sich über die Jahre verändert. Wir sind ein Volk, auch wenn wir verschieden sind. Es gibt nicht den starken Westen und den schwachen Osten. Wenn wir zusammen die Geschichte anschauen und aufarbeiten werden wir uns mehr verstehen lernen und uns gegenseitig befruchten. Es gibt viel zu entdecken und die nächsten Monate Zeit sind eine große Chance dafür, auch für das Evangelium.

In diesem Zuge habe ich mich auch mit der Rolle der Kirche während der Friedlichen Revolution beschäftigt. „Das Licht kam aus der Kirche“heißt es treffend. In den Kirchen trafen sich über Jahren Menschen zu Gebet. Später gingen sie mit Lichtern auf die Straßen und forderten „keine Gewalt“. Das hat mich bewegt. Wie in den Kirchen gebetet und Lichter angezündet wurden, so will auch ich an Plätzen der ehemaligen Grenze für Frieden beten, für das Wunder der Friedlichen Revolution danken und bitten, dass die Revolution weiter geht (in Anlehnung an die Rede von Werner Schulz im Leipziger Gewandhaus).

Gemeinsam mit ein paar Mitstreitern werde ich mich auf den Weg machen, um vom 5.11-10.11 die ehemalige innerdeutsche Grenze mit dem Auto abzufahren. Dabei geht es nicht einfach um eine Stritztour, es soll eine bewusste Zeit des Gebets, des Hinhörens und Miterlebens sein. Ich glaube, dass Gott dieses Projekt segnen wird. An den Originalschauplätzen zu stehen entwickelt eine ungleich größere Kraft, als von zu Hause aus zu beten. Wir werden in der Nikolaikirche in Leipzig starten, die als Stadt eine bedeutende Rolle spielte. Enden wird unser Trip in Berlin, wo wir in die Feierlichkeiten des 9. November, mit einem großen „Fest der Freiheit“ zu beiden Seiten des Brandenburger Tores, eintauchen werden. Höhepunkt dieses Events bildet die spektakuläre multimediale Inszenierung des symbolischen Falls der Mauer durch einen „Dominoeffekt“. Tausende Jugendliche werden sich im Vorfeld mit den historischen Hintergründen beschäftigen und überdimensionierte Steinmodelle bemalen, die sie an diesem Tag gemeinsam mit prominenten Künstlern, Kulturschaffenden und Politikern zum Einstürzen bringen.

www.mauerfall09.de

www.mauerfall-berlin.de

www.ostdeutschland.wordpress.com