
Die Hektik ist der grösste Feind eines geistlichen Lebens in unserer Zeit. Wir müssen Eile erbarmungslos aus unserem Leben entfernen. Das sagte der christliche Denker Dallas Willard einmal in einem Beratungsgespräch.[1] Der Autor erklärt, warum er ihm zustimmt.
Die Afrikaner haben das bekannte Sprichwort: «Ihr habt die Uhr und wir die Zeit.» Heute müsste es heissen: «Ihr habt ganz viele zeitsparende Geräte und wir haben immer noch die Zeit.» Die Ruhelosigkeit und das Tempo des Lebens haben sich in den letzten Jahrzenten immer mehr erhöht.
Eine kurze Geschichte der Zeit
Der Ursprung für diese Entwicklung liegt in technischen Erfindungen. Die Uhr hat die Zeit von einem durch die Natur bestimmten Ablauf abgekoppelt. Das elektrische Licht hat die Nacht erobert. Plötzlich war es möglich, rund um die Uhr zu arbeiten. Die natürliche Ruhezeit der Dunkelheit ist verloren gegangen. Der Schlaf ist weniger geworden.
Mittlerweile ist das digitale Zeitalter eingeläutet. Mit dem Smartphone haben wir das Internet mit seinen enormen Möglichkeiten überall dabei. Das hat unsere Kultur nachhaltig verändert und enorm beschleunigt. Das macht was mit uns. Wir leben mit dem Gefühl der ständigen Zeitknappheit. Deshalb versuchen wir unser Leben noch mehr zu beschleunigen, damit wir mehr Zeit haben für all die Dinge auf unseren To-Do-Listen.
Das Problem mit der Eile
Eile steht im Gegensatz zur Liebe. Wir sollen Gott lieben, unseren Nächsten und uns selbst.[2] Geschäftigkeit und Eile verhindern das, denn das «Problem» mit der Liebe ist, dass sie sehr zeitintensiv ist. Das merken wir sehr schnell in Beziehungen. Sie «kosten» enorm Zeit. Wenn wir im Zeitstress sind, fällt es uns schwer zu lieben. Das sind die Momente, in denen ich nicht mehr in einer inneren Balance bin. Die Spannung kann sich schnell entladen durch Ärger, Zynismus, Wut und schnippische Bemerkungen.
Ich musste in meinem Leben feststellen, dass ich viele meiner schlimmen Momente als Ehemann, Vater, Sohn, Freund, Pfarrer dann hatte, wenn ich im Zeitstress war. Das zeigt mir, wie schwierig es ist, mit einer gestressten Seele zu lieben.
Eile tötet Beziehungen. Liebe dagegen nimmt sich Zeit. Eile tötet die Freude und Dankbarkeit des Moments. Wenn du gehetzt bist, kannst du den Augenblick nicht geniessen. Eile tötet Weisheit. Weisheit entsteht über Zeit. Sie reift. Sie durchläuft einen Denk- und Handlungsprozess, bis sie schriftreif ist. Eile tötet Spiritualität. Diese lebt davon, dass wir uns Zeit nehmen, ihr Gewicht geben. Sie lebt von Ruhe und vom Bewusstsein des Augenblicks. Eile liebt nicht – sie tötet.[3]
Die Lösung
Die Lösung ist nun nicht mehr Zeit, sondern eine Verlangsamung und Vereinfachung des Lebens. Wir haben alle nicht mehr als 24 Stunden pro Tag. Wir können nicht alles tun und erreichen und müssen daher aufhören, ständig dem Mehr nachzujagen. Stattdessen sollen wir uns die Frage stellen: Wie können wir unser Leben verlangsamen?
Das können wir konkret von Jesus lernen. Er selbst und seine Nachfolger haben wunderbare, ruheschaffende Rituale und Lebensweisen entwickelt, mit der wir unserer Seele Gutes tun. Sie sind mehr denn je gefragt. Zu diesen Ritualen gehören für mich die konsequente Einhaltung des Ruhetags,[4] einen Tagesrhythmus mit Zeiten des Gebets und der Stille vor Gott und eine gewisse Vereinfachung des Lebens, das heisst eine Konzentration auf das Wesentliche. Dazu müssen wir unser Leben entsprechend ordnen.
Es geht dabei nicht um Verlangsamung um der Verlangsamung willen, sondern um die Gesundheit unserer Seele und vor allem um unsere Ausrichtung auf Gott. Wir können unser Leben extrem verlangsamen ohne Jesus. Doch als Schüler von ihm müssen wir es um der Liebe willen tun. Und wenn wir es tun, werden wir spüren: Ruhe ist langsam. Gebet ist langsam. Gastfreundschaft ist langsam (du nimmst dir Zeit für eine Person). Bibellesen ist langsam.
Ich ermutige dich, diesen Weg zu gehen. Das alles hilft dir, mehr zu lieben, präsenter im Moment zu sein, offener für das feine Reden Gottes, empfindsamer für die Bedürfnisse deiner Seele und feinfühliger für die Nöte deiner Mitmenschen.
[1] Frei übertragen aus John Ortberg, Hüter meiner Seele, Asslar, 2015
[2] Lukas 10,27
[3] Manchmal ist Eile weit weniger dramatisch. Wir sind einfach «Opfer» unserer Lebenssituation.
[4] Das hebräische Wort sabbat bedeutet: aufhören, um zu ruhen.
Dieser Artikel erschien in der Februar-Ausgabe 2022 von Wort+Wärch. Das Bild ist von mir gemacht von der Kirche San Giovanni Battista in Mogno, Tessin. Es ist für mich ein Sinnbild von Ruhe in der Hektik.