Reflektionen

Ziemlich spontan entschied ich mich mit dem Zug nach Zug (CH) zu fahren und mir die Stadt ein wenig anzuschauen. Ich liebe Städtetrips und lasse mich gerne durch die Leute und die Architektur inspieren. Und während ich durch die wunderschöne Altstadt von Zug schlendere, fängt die Kunst an zu mir zu sprechen. Ich spürte wie Gott mir etwas mitteilen will.

20171223_123328An einer Strassenecke in der Nähe des Kirchturms erblickte ich einen Tannenbaum. Nicht ungewöhnlich für diese Vorweihnachtszeit. Doch der Tannenbaum war kein gewöhnlicher Tannenbaum – es war ein Wunschbaum, an den Menschen kleine Kärtchen mit ihren Wünschen befestigten. Es waren Wünsche aller Art zu lesen: kleine, grosse, unrealistische, idealistische, sehr persönliche, recht allgemeine, berührende und selbstverliebte Wünsche. Und eine innere Stimme fragte mich: Und Martin was hättest du auf die Karte geschrieben? Was sind deine Wünsche für 2018?

Ich gehe nach einer Weile weiter und denke über meine Wünsche nach. Welche Wünsche habe ich? Und warum habe ich genau diese Wünsche? Und während ich so über mich und meine Ziele nachdenken komme ich am Theater vorbei. Dort hängen ein paar grosse Plakte aus. Auf einem steht gross WOW. Es spricht mich an. Ich bleibe stehen und die innere Stimme fragt mich: Martin was hat in diesem Jahr 2017 in dir ein Wow-Gefühl ausgelöst? Mein Blick geht von der Zukunft in die Vergangenheit. Mir fallen spontan ein paar ganz besondere Erlebnisse und Ereignisse ein die einfach nur WOW waren. Ich werde dankbar für mein Leben. Die letzten Jahre waren nicht einfach, aber dieses Jahr war ein WOW-Jahr. Ich danke Gott für seine Hilfe und wünsche mir nicht nur für mich im nächsten Jahr WOW-Erlebnisse, sondern auch für andere Menschen.

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Mein Rundgang führt mich weiter zum Kunstmuseum. Dort fallen mir zwei Worte an den beiden Frontseiten des Gebäudes auf. An der einen Wand steht IST und auf der anderen Mauer WIRD. Und wieder meldet sich die innere Stimme und fragt mich: Martin was IST gegeben in deinem Leben und was WIRD gerade? Spontan kreisen sich meine Gedanken über den IST-Zustand meines Lebens und was geworden IST. Und darüber was gerade WIRD und wie es mir damit geht. Ich merke wie ich vieles beeinflussen kann, aber auch vielem einfach ausgesetzt bin und mich den Situationen stellen muss. Ich spüre die Bewegung im Leben und bin gespannt wie alles so WIRD in 2018.

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Viele Läden haben offen und nutzen den letzten Tag vor den Weihnachtsfeiertagen Geschäfte zu machen. Dabei versuchen sie auf ihre Art Aufmerksamkeit zu erregen und Kunden in ihr Geschäft zu locken. Die guten alten Aufsteller stehen dabei immer noch hoch im Kurs. Vor einem dieser Schilder bleibe ich stehen. Es steht ganz einfach WELCOME und darunter OPEN drauf. Nicht besonders kreativ, aber die innere Stimme schafft sich wieder in mir Gehör: Martin, wer ist in deinem Leben willkommen? Für wen ist dein Haus offen? Und ich spüre, dass Gastfreundschaft eines der Themen in 2018 werden könnte. Und genauso die Fokussierung auf Menschen und nicht so sehr auf Projekte. Hat sich da vielleicht was verdreht in meinen Prioritäten? Ganz abschliessend kann ich es nicht klären, aber ich nehme mir vor ein Willkommensmensch zu sein – was auch immer das genau bedeutet. Wir werden sehen.

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Zum Ende meines Rundgangs laufe ich nochmals runter zum See. Leider kein schönes Wetter heute. Die Berge sind nebelverhangen und verstecken die Sonne. Ich schaue auf den See und sehe eine Art Statue aus zwei Gänsen, die zusammen ihren Weg gehen. Sie machen auf mich irgendwie den Eindruck als wollen sie tanzen. Und die innere Stimme nimmt diese unreife Beobachtungen zum Anlass zu ihrer letzten Frage: Mit wem tanzt du durchs nächste Jahr? Mit wem bist du eng verbunden und willst vieles bewegen und erleben? Die Antwort ist bei mir ziemlich einfach und klar. Dennoch bin ich dankbar für den abschliessenden Hinweis. Ja es gibt wundervolle Menschen in meinem Leben mit denen mich Gott verbunden hat und mit denen ich durchs Leben tanzen will. Und das sind auch diese Menschen, die mich dankbar machen, die ich mir gewünscht habe, die da sind und es auch bleiben sollen. Dankbar mache ich mich auf den Heimweg. Gott hat mal wieder durch die Kunst zu mir gesprochen – einfach wundervoll.

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Selbstwert

Immer wieder merke ich wie in meiner Arbeit als Pastor im Gespräch mit Menschen es um den Selbstwert geht. Er kann schnell am Boden sein, aber auch unrealistisch übertrieben hoch sein. Bei vielen leide ich fast mit wenn ich sehe wie sie damit kämpfen. Und in meinem Leben sieht es auch nicht immer rosig aus.

Lass mich daher mit einer einfachen Frage beginnen: Wer bist du? Wenn ich dir diese Frage stellen würde, wie würdest du antworten? – Ich bin eine Mutter, eine Schülern, Jungschileiter, Student, Anwalt, Schreiner etc. Das ist eine Möglichkeit, die oft zu hören ist. Wir definieren uns dann über unseren Job. Oder wir könnten antworten: Ich bin ein Schweizer, Berner, Deutscher, ich komme von der Familie Preisendanz etc. In diesen Fall definieren wir uns über unsere Herkunft. Und es stimmt natürlich, dass unser Job, unsere Herkunft und Familie uns irgendwie definiert. Doch wir können auch tiefer gehen und zwar zu unserer Identität. Ich will über heute ein paar persönliche Gedanken zum Thema Identität weitergeben, um zu einem besseren, wertvolleren Bild von uns zu kommen.

Wer bin ich nun?

Ich bin Martin, ein Deutscher, der seit ein paar Jahren in der Schweiz lebt und mit einer Einheimischen verheiratet ist. Ich bin mit grosser Leidenschaft Theologe und Prediger. Angestellt in einer kleinen, tollen Gemeinde in Steffisburg und zusätzlich freiberuflich tätig als Prediger und Fachmentor von Theologiestudenten. Ich spiele gerne, aber leider zu wenig Volleyball und kann mich für gutes und spezielles Essen und Trinken begeistern.

Bin ich das nun? Ja, es sagt sehr viel über meine Talente, meine Aufgaben, Fähigkeiten und Persönlichkeit aus. Doch was ist wenn das alles verschwindet. Nehmen wir mal an ich verliere das alles. Wer bin ich dann noch? Nehmen wir an ich verliere meinen Job, meine Frau verlässt mich und ich liege schwer krank im Krankenhaus. Wie würde ich die Frage dann noch beantworten? Was würde ich dann sagen? Wer bin ich ohne Frau, Job und Gesundheit? Für mich sind das keine theoretischen Fragen, denn ich war schon an diesem Punkt. Ich weiss was es heisst seinen Job aufgeben zu müssen und arbeitslos zu sein. Ich weiss, was es heisst verlassen zu werden. Ich weiss, was es heisst, wenn der Körper einfach nicht mehr mitspielt. Und vielleicht haben das einige von euch auch schon in irgendeiner Form erlebt: Zeiten des Zerbruchs und Scheitern. Zeiten, in den wir mit der Schwere des Lebens konfrontiert sind. Zeiten voller Schmerz und Leid. Wir allen waren dort schon oder werden sicherlich in irgendeiner Form einmal durch ein Tal durchmüssen. Was macht das mit uns? Wir brauchen eine innere Klarheit darüber wer wir sind. Und das herauszufinden und zu verinnerlichen ist eine lebenslange Aufgabe.

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Ich werde daher über zwei entscheidende Punkte sprechen und euch zwei Tools mit auf den Weg geben, die mir geholfen haben mich zu finden und innerlich stark zu werden. Der erste ist ein Schlüssel. Der Schlüssel steht dafür eine entscheidende Tür zu öffnen. Der Schlüssel ist: wir haben alle mit einem JA begonnen. Am Anfang unseres Lebens stand ein JA. Am Anfang jeden Lebens steht ein JA. Du bist gewollt. Dieser Satz, diese Botschaft ist einer der wichtigsten überhaupt. Du bist gewollt. Idealerweise waren deine Eltern schwer verliebt und entschieden sich ihre Liebe mit noch mehr zu teilen und zeugten dich. Der Grund deiner Existenz ist das JA von Mami und Papi. In diesem Fall bist zu geschaffen aus Liebe. Aber vielleicht bist du nicht in dieser glücklichen Position. Du warst nicht geplant, sondern ein Unfall. Eigentlich sollte es dich gar nicht geben, aber weil deine Eltern an einem Abend auf einer Party etwas zu viel getrunken haben ist ihnen gar nicht aufgefallen, dass sie das Kondom vergessen haben. Vielleicht ist deine Geschichte eher diese. Was dann? Ich sage dir: auch, wenn es auch volles JA von deinen Eltern gab, dann doch ein JA von Gott. Auch wenn deine Eltern dich nicht geplant haben, so doch Gott. Du hast nichts für dein Leben getan. Du hast dir das nicht herausgesucht. Du warst einfach da, weil dich jemand wollte. Das können wir einfach annehmen. Doch leider fällt es uns oft schwer dieses JA anzunehmen. Was hält uns ab davon? Ignoranz, Stolz, Leistungsdenken z. B. Ich muss erst mal etwas leisten. Ich kann was und das will ich auch zeigen etc. Nein, du musstest für dieses JA nichts leisten und kannst es dir nicht erarbeiten. Wir brauchen wieder ein natürliches annehmendes Herz. Ein Herz, das einfach Ja sagt und sich über diese bedingungslose Liebe freut. Gottes JA ist bedingungslos d. h. er stellt keine Bedingungen. Und wenn du lernst dieses JA anzunehmen ist das ein Schritt in die Freiheit. Ein Leben frei von Bewertung, Vergleich und Beurteilung von anderen Menschen. Das ist möglich, wenn auch nicht einfach, denn wir leben in einer Welt voller Erwartungen. Deine Eltern haben Erwartungen, die Schule hat sie, dein Team, deine Kirche, ja du selbst an dich auch. In der Schule gibt es Anerkennung von den Lehrern durch gutes Benehmen und Leistung. Bei den Frauen komme ich gut an aufgrund meines Aussehens und Auftretens. Freunde finde ich leichter, wenn ich geniale Parties veranstalte etc. Doch was wir dringend brauchen wir Menschen die uns erwartungslos mögen.

diamondDas bringt mich zum zweiten Tool: dem Edelstein. Der Edelstein steht für den Satz: Umstände definieren nicht deinen Wert. Ich habe vorhin erzählt, dass ich auch schwere Zeiten durchleben musste. Vor drei Jahren bin ich durch eine schwere Zeit. Die Situation wurde für mich immer unerträglicher. Viele, zu viele Nächte mit zu wenig Schlaf, forderten ihren Tribut. Ich war nun auch körperlich am Ende. Ich habe die Reisslinie gezogen, bin zum Arzt, habe gekündigt und bin zu meinen Eltern gezogen. Wenn du mit 35 Jahren zurück zu deinen Eltern ziehst ist wahrscheinlich irgendwas schief gelaufen. Ich betrat zum ersten in meinem Leben ein Arbeitsamt. Und war körperlich sehr erschöpft und wusste nicht ob ich jemals wieder ganz fit werde. Dazu habe ich einen Grossteil meines Besitzes verloren und finanziell stand ich an einem Punkt wie zuletzt als Teenager. Während meine Freunde sich über Kinder freuten und ihre Häuser bauten, war ich froh, dass ich einfach ohne Druck bei meinem Eltern leben durfte. Diese Situation hat mich an meiner Identität zweifeln lassen. Ich fühlte mich nutzlos und ziellos. Ich fühle mich wie ein grosser Träumer, der auf dem harten Boden der Realität landet. Ich fühle mich zwar talentiert, aber nutzlos. Ich fühlte mich als Versager. Ich fühlte mich als gescheitert. Ich musste mir eine grosse Niederlage eingestehen. Und inmitten dieser allzu menschlichen Gedanken musste ich lernen, dass die Umstände (meine konkreten Umstände) nicht meinen Wert definieren. Das war gar nicht so einfach zu glauben. Und ich fragte mich blickend auf die Zukunft: Wer will mich mit meiner Geschichte? Ich musste wieder ganz von Vorne anfangen. Und ich erlebte es als eine grosse Befreiung. Ich muss nichts mehr darstellen, weil ich nichts mehr zum Darstellen hatte. Wer will mich? Die Frage ist ganz einfach zu beantworten: ein paar Menschen irgendwo in der Schweiz. Normale, einfache Menschen aus einem gar nicht so kleinen Dorf namens Steffisburg. Ihr wisst gar nicht wie glücklich ihr mich damit gemacht habt!! Und in dieser Zeit haben mir diverse Aussagen von Menschen und Erkenntnisse geholfen: Martin, du wirst deinen Weg machen. Martin, du bist ein Juwel. Martin, du bist kein Opfer deiner Umstände. Und ich durfte Menschen erleben, die mich trotz und sogar wegen meiner Geschichte Menschen liebten und an mich glaubten. Das war Therapie für mich. Zu erfahren trotz oder wegen allem geliebt zu sein, ist eine der tiefsten und berührenden Erfahrungen. Ich bin wertvoll. Ich bin ein Diamant. Und ein Diamant ist wertvoll egal wo er liegt. Ob er für tauschende von Franken beim Juwelier zu verkaufen ist, oder in einem Schmuckkasten bei einer alten Dame liegt, so dass niemand ihn sehen kann oder ob er noch unentdeckt im Erdreich ist. Der Diamant bleibt ein Diamant. Er ist deshalb nicht mehr oder weniger wert. Umstände definieren nicht deinen Wert. Lass dir das gesagt sein! Und interessant ist noch, dass um einen leuchtenden edlen Diamanten zu bekommen muss der Handwerker mehr als die Hälfte vom Stein abschleifen. Das ist ein tolles Bild, das uns vor Augen führt, dass schwierige Zeiten grosses Potential haben, wenn wir den Handwerker an uns schleifen lassen, so dass wir heller scheinen als zuvor. Und heute (3 Jahren später) kann ich sagen: Ich liebe meinen Job, ich liebe meine Frau. Ich stehe wieder etwas im Rampenlicht. Ich bin nicht der versteckte Diamant, sondern für ein paar Menschen sichtbar. Aber was bleibt ist, dass ich dadurch nicht mehr wert bin. Ich bin und bleibe der von Gott geliebte Martin. Ich erlebe es als eines der grossen Punkte: unser Selbstwertgefühl. Hier müssen wir heran. Als Christen wissen wir, dass wir von Gott bedingungslos geliebt sind. Was für eine wundervolle Glaubensgrundlage! Und das gilt daher unabhängig von unseren Lebensumständen. Lass uns das anfangen zu glauben und uns immer wieder zusprechen. Du bist geliebt! Deine Lebensumstände bestimmen nicht deinen Wert als Mensch!