Wir alle haben unsere ganz eigene Geschichte. In meinem Fall auch eine Glaubensgeschichte. Warum ich Jesus nachfolge hat seine Gründe, genauso die Art wie sich das konkret ausdrückt. Im Laufe meines noch kurzen Lebens habe ich schon einiges erlebt mit Gott und mit vielen die ihm genauso nachfolgen wie ich. Dass ich dabei mit ihnen nicht immer ganz einig war sowohl in theologischen wie ethischen Fragen als auch ganz praktischen Fragen des Miteinanders (Gemeindeverständnis, Auftrag der Christen etc.) ist bei der Vielfalt und Eigenheit der Menschen und ihrer Geschichten nicht verwunderlich. Wo Menschen sich als ein Kollektiv versammeln gibt es Freuden und Leiden. Davon sind die Gemeinde/Gemeinschaften/Vereine/Initiativen (wie auch immer sie sich nennen) nicht ausgenommen.
Wenn ich mit Menschen über ihre Glaubensgeschichte oder über die Geschichte ihrer Gemeinde/Gemeinschaft spreche, zu der sie sich dazugehörig fühlen, dann geht es immer auch um Elemente der Loslösung von alten, eingefahrenen Traditionen und das Ausleben neuer, lebenidiger Formen von Spiritualität und Gemeinschaftsleben. Die Loslösung bzw. Neuausrichtung ist meistens mit Kämpfen verbunden und in manchen Fällen mit einer Neugründung, weil sich die „Alten“ nicht ändern oder öffnen wollten und die „Neuen“ sich mit dem Vergangenen nicht mehr abfinden konnten. Spannend ist, dass sich diese Entwicklung zu wiederholen scheint. Die „Alten“ haben wiederum ihre Ausdrucksweisen und Strategien hart erkämpft. Nun wollen sie es sich von den jungen Wilden doch nicht so einfach wieder nehmen lassen. Und die „Neuen“ werden zu „Alten“ und sind immun gegen andere Gedanken.
Letztens war ich auf einem Netzwerktreffen und musste feststellen, dass Formen wieder entdeckt werden, von denen ich mich „gelöst“ habe bzw. sogar andere geholfen habe sich davon zu lösen. Die Gründe des Loslösens von diesen Formen damals war meines Erachtens richtig. Als ich nun wieder damit konfrontiert wurde traf mich das und ich merkte im reflektieren, dass ich die Wahl habe: mich zu öffnen oder zu verschließen. Die Gründe für das Wiedereinführen dieser Form sind genauso richtig. Zumal es nie auf die Form ankommt, sondern auf die dahinterstehende Herzenshaltung. Viele dieser Leute haben auch eine andere Geschichte als ich. Daher gehen sie ganz anders heran.
Um es an einem Beispiel konkreter zu machen. Ich bin mit einer sehr traditionellen Gottensdienstliturgie aufgewachsen, die ich erstens uncool fand, zweitens nicht verstand und drittens so nicht der Lebenswelt meiner Generation entsprach (sprich: ich schämte mich ein wenig dort zu sein). Mit der Zeit habe ich aber Formen und Ausdrucksweisen der Gottesdienstgestaltung kennengelernt die mich angesprochen und meinen Glauben gestärkt haben. Viele Menschen verstanden mich damals nicht und wollten beim Alten bleiben und sahen es sogar kritisch was ich dachte und wollte. Und nun Jahre später geht das Pendel wieder in die andere Richtung. „Warum muss das sein?“, denke ich mir. Wenn ich nun aber auf deren Motivation schaue, stelle ich fest, dass sie die selbe ist wie meine. Sie praktiszieren Formen, die sie ansprechen und ihr Glaubensleben stärkt. Stehe ich in einem Dilemma?
Ich bin ein Kind des Pluaralismus und habe gelernt, dass viele (eigentlich: alle) Wege nach Rom führen. Ich kann den Pluarilismus an Ausdrucksformen stehen lassen. Aber das ist mir zu wenig. Ich will einen Standpunkt einnehmen, aber Weite bewahren. Ich will lernbereit und veränderungsfähig bleiben. Ich will nicht an „meinem“ Erkämpften hängenbleiben, sondern mich öffnen, denn die Kultur ändert sich und damit die Menschen. Und ich will mit anders denkenden und praktizierenden Menschen zusammen abhängen und mich ihnen aussetzen, damit mein Herz nicht eng wird.