Der Sabbat / Ruhetag

Ich habe mich in den letzten Monaten intensiv mit dem Thema des Sabbats / Ruhetags beschäftigt. Daraus ist eine 5teilige Predigtserie entstanden. Sie setzt sich mit der biblischen Sicht auf den Sabbat und unserer Gesellschaft auseinander und sucht nach Wegen in unserer Zeit dem Sabbat Gewicht zu geben. Im Ruhetag sehe ich Gottes Weisheit für uns. Sie trifft auf eine starke Sehnsucht nach Ruhe, Langsamkeit, Einfachheit & Präsenz. Wer den Ruhetag bewusst praktiziert, so glaube ich, kann darin Gottes Wesen erkennen und Gott finden.

“Manche Dinge kann Gott uns nur in die Seele legen, wenn wir die Arbeit aus der Hand legen und zur Ruhe kommen.”

Pete Scazzero

Der Aufbau der Predigtreihe sieht folgendermassen aus:

  1. Die Predigt über den Sabbat als Rhythmus nimmt Bezug auf die Begründung für das Halten des Sabbats in den 10 Geboten.
  2. Die Predigt über den Sabbat als Schatz stellt den Sabbat als zentrale geistliche Übung, als Form des Widerstands und als Ort der Gottesoffenbarung vor.
  3. Die Predigt über den Sabbat als Weisheit thematisiert vier Kennzeichen des Sabbats: aufhören, ausruhen, sich freuen, Gott anbeten.
  4. Die Predigt über die Freude des Sabbats richtet den Blick auf Jesus und seine Auseinandersetzungen mit den Gelehrten seiner Zeit.
  5. Die Predigt über die Praxis des Sabbats zeigt Wege auf, wie der Ruhetage ganz praktisch umgesetzt werden kann.

Jesus-Nachfolge in der Schnelllebigkeit

Die Hektik ist der grösste Feind eines geistlichen Lebens in unserer Zeit. Wir müssen Eile erbarmungslos aus unserem Leben entfernen. Das sagte der christliche Denker Dallas Willard einmal in einem Beratungsgespräch.[1] Der Autor erklärt, warum er ihm zustimmt.

Die Afrikaner haben das bekannte Sprichwort: «Ihr habt die Uhr und wir die Zeit.» Heute müsste es heissen: «Ihr habt ganz viele zeitsparende Geräte und wir haben immer noch die Zeit.» Die Ruhelosigkeit und das Tempo des Lebens haben sich in den letzten Jahrzenten immer mehr erhöht.

Eine kurze Geschichte der Zeit

Der Ursprung für diese Entwicklung liegt in technischen Erfindungen. Die Uhr hat die Zeit von einem durch die Natur bestimmten Ablauf abgekoppelt. Das elektrische Licht hat die Nacht erobert. Plötzlich war es möglich, rund um die Uhr zu arbeiten. Die natürliche Ruhezeit der Dunkelheit ist verloren gegangen. Der Schlaf ist weniger geworden.

Mittlerweile ist das digitale Zeitalter eingeläutet. Mit dem Smartphone haben wir das Internet mit seinen enormen Möglichkeiten überall dabei. Das hat unsere Kultur nachhaltig verändert und enorm beschleunigt. Das macht was mit uns. Wir leben mit dem Gefühl der ständigen Zeitknappheit. Deshalb versuchen wir unser Leben noch mehr zu beschleunigen, damit wir mehr Zeit haben für all die Dinge auf unseren To-Do-Listen.

Das Problem mit der Eile

Eile steht im Gegensatz zur Liebe. Wir sollen Gott lieben, unseren Nächsten und uns selbst.[2] Geschäftigkeit und Eile verhindern das, denn das «Problem» mit der Liebe ist, dass sie sehr zeitintensiv ist. Das merken wir sehr schnell in Beziehungen. Sie «kosten» enorm Zeit. Wenn wir im Zeitstress sind, fällt es uns schwer zu lieben. Das sind die Momente, in denen ich nicht mehr in einer inneren Balance bin. Die Spannung kann sich schnell entladen durch Ärger, Zynismus, Wut und schnippische Bemerkungen.

Ich musste in meinem Leben feststellen, dass ich viele meiner schlimmen Momente als Ehemann, Vater, Sohn, Freund, Pfarrer dann hatte, wenn ich im Zeitstress war. Das zeigt mir, wie schwierig es ist, mit einer gestressten Seele zu lieben.

Eile tötet Beziehungen. Liebe dagegen nimmt sich Zeit. Eile tötet die Freude und Dankbarkeit des Moments. Wenn du gehetzt bist, kannst du den Augenblick nicht geniessen. Eile tötet Weisheit. Weisheit entsteht über Zeit. Sie reift. Sie durchläuft einen Denk- und Handlungsprozess, bis sie schriftreif ist. Eile tötet Spiritualität. Diese lebt davon, dass wir uns Zeit nehmen, ihr Gewicht geben. Sie lebt von Ruhe und vom Bewusstsein des Augenblicks. Eile liebt nicht – sie tötet.[3]

Die Lösung

Die Lösung ist nun nicht mehr Zeit, sondern eine Verlangsamung und Vereinfachung des Lebens. Wir haben alle nicht mehr als 24 Stunden pro Tag. Wir können nicht alles tun und erreichen und müssen daher aufhören, ständig dem Mehr nachzujagen. Stattdessen sollen wir uns die Frage stellen: Wie können wir unser Leben verlangsamen?

Das können wir konkret von Jesus lernen. Er selbst und seine Nachfolger haben wunderbare, ruheschaffende Rituale und Lebensweisen entwickelt, mit der wir unserer Seele Gutes tun. Sie sind mehr denn je gefragt. Zu diesen Ritualen gehören für mich die konsequente Einhaltung des Ruhetags,[4] einen Tagesrhythmus mit Zeiten des Gebets und der Stille vor Gott und eine gewisse Vereinfachung des Lebens, das heisst eine Konzentration auf das Wesentliche. Dazu müssen wir unser Leben entsprechend ordnen.

Es geht dabei nicht um Verlangsamung um der Verlangsamung willen, sondern um die Gesundheit unserer Seele und vor allem um unsere Ausrichtung auf Gott. Wir können unser Leben extrem verlangsamen ohne Jesus. Doch als Schüler von ihm müssen wir es um der Liebe willen tun. Und wenn wir es tun, werden wir spüren: Ruhe ist langsam. Gebet ist langsam. Gastfreundschaft ist langsam (du nimmst dir Zeit für eine Person). Bibellesen ist langsam.

Ich ermutige dich, diesen Weg zu gehen. Das alles hilft dir, mehr zu lieben, präsenter im Moment zu sein, offener für das feine Reden Gottes, empfindsamer für die Bedürfnisse deiner Seele und feinfühliger für die Nöte deiner Mitmenschen.


[1] Frei übertragen aus John Ortberg, Hüter meiner Seele, Asslar, 2015

[2] Lukas 10,27

[3] Manchmal ist Eile weit weniger dramatisch. Wir sind einfach «Opfer» unserer Lebenssituation.

[4] Das hebräische Wort sabbat bedeutet: aufhören, um zu ruhen.

Dieser Artikel erschien in der Februar-Ausgabe 2022 von Wort+Wärch. Das Bild ist von mir gemacht von der Kirche San Giovanni Battista in Mogno, Tessin. Es ist für mich ein Sinnbild von Ruhe in der Hektik.

Seid barmherzig (Gedanken zur Jahreslosung 2021)

Seit fast 90 Jahren gibt es die Tradition der Jahreslosung. Die sogenannte “Ökumenische Arbeitsgemeinschaft für Bibellesen” wählt jedes Jahr eine Losung aus allen Vorschlägen aus, welche die Mitglieder abgegeben haben. Es ist also keine Aus-Losung im eigentlichen Sinne mehr, sondern ein Auswählen. Die Jahreslosung soll helfen die Bibel zu lesen, mehr über die Bibel zu erfahren und Mut machen. Für 2021 wurde ein Jesus-Wort ausgelost. Jesus Christus spricht: „Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist (Lk 6,36).“

Gott hat einen Namen

In der Jahreslosung geht es um Gottes Wesen. Wie ist Gott? – Jesu Antwort ist barmherzig. Wenn wir in die Bibel schauen, dann ist Barmherzigkeit eines der Eigenschaften die am häufigsten auf Gott bezogen wird. Wieder und wieder wird diskutiert was es bedeutet, dass Gott barmherzig ist.

Gehen wir in den ersten Teil der Bibel. Die Bibel berichtet wie das Volk Israel durch Gottes Eingreifen aus der Sklaverei in Ägypten befreit wird. Sie befinden sich als freie Menschen in der Wüste. Dort begegnet ihnen Gott. Er ruft den israelischen Führer Mose auf den Berg Sinai zu kommen. Als Mose auf dem Berg geht, kommt Gott in einer Wolke herunter und geht so an Mose vorbei und stellt sich ihm vor: »Ich bin der HERR! ‘Ich bin da’ ist mein Name! Ich bin ein Gott voll Liebe und Erbarmen. Ich habe Geduld, meine Güte und Treue sind grenzenlos. Ich erweise Güte über Tausende von Generationen hin, ich vergebe Schuld, Verfehlung und Auflehnung; aber ich lasse auch nicht alles ungestraft hingehen. Wenn sich jemand gegen mich wendet, dann bestrafe ich dafür noch seine Kinder und Enkel bis in die dritte und vierte Generation (2Mose 34,6-7).« Gott stellt sich vor als ein Gott voll Liebe und Erbarmen. Anstatt Liebe könnte auch mit Barmherzigkeit übersetzt werden, denn das benützte hebräische Wort ist das Äquivalent zu dem griechischen Ausdruck in dem was Jesus über Gott sagt d. h. Jesus gebraucht viele Jahre später dasselbe Wort wie Gott als er sich Mose in der Wolke vorstellt. Gott stellt sich als barmherzig und gnädig vor. Das nennt er nicht ohne Grund zuerst. Am Anfang führt er die dominanten Eigenschaften auf. Die beiden Eigenschaften hängen zusammen. Das hebräische Wort für Barmherzigkeit hat ihre Wurzel vom Mutterleib oder der Gebärmutter. Die Idee dahinter ist das Gefühl einer Mutter für ihr frischgeborenes Baby zu beschreiben. Es geht um die Beziehung einer schwangeren Frau, die sie zu ihrem ungeborenen Baby aufbaut und um das Gefühl, dass sie hat wenn sie ihr Kind nach dem sie es unter Schmerzen geboren hat zum ersten Mal in ihren Armen hält. Wer Mütter kennt, der weiss, das ist ein unglaubliches, überwältigendes Gefühl des Glücks ist. Gott wird hier mit dem Gefühlsleben einer jungen Mutter verglichen. Barmherzigkeit ist ein Gefühlswort. Gnädig ist mehr eine Aktionsbegriff im Sinne von Gnade zeigen und gnädig sein. Es wird gebraucht, wenn jemand einem zur Hilfe eilt. Es beschreibt die rettende, helfende Aktion. Das Gefühl der Barmherzigkeit löst das gnädige Handeln aus.

Die zwei Prostituierten

In der Bibel gibt es ein paar konkrete Beispiele für die hier gemeinte Mutterliebe. Eines davon spielt sich ab als Salomo König von Israel war. In dieser Funktion war er auch eine Art Richter. Eines Tages bringen sie zwei Frauen zu ihm, die sich um ein Kleinkind stritten. Beide behaupteten, dass es ihr Kind sei. Die eine Frau hatte kurz zuvor durch einen tragischen Zwischenfall ihr eigenes Kind verloren und behauptete nun die Mutter des noch lebenden Kindes zu sein. DNA-Tests gab es noch nicht, die die wahre Mutterschaft bestätigt hätte. Doch Salomo fällt eine clevere Idee ein: „Er befahl weiter: »Zerschneidet das lebende Kind in zwei Teile und gebt die eine Hälfte der einen, die andere Hälfte der andern!« (1Kön 3,25)“ Seine Idee zeigt die erhoffte Wirkung: „Da rief die Frau, der das lebende Kind gehörte – denn die Mutterliebe regte sich mächtig in ihr: »Ach, mein Herr und König! Gebt es der andern, aber lasst es leben!« Die andere aber sagte: »Weder dir noch mir soll es gehören! Zerschneidet es nur!« (1Kön 3,26)“ Als Salomo den Auftrag gab das Kind zu halbieren, regte sich in der wahren Mutter ihre Muttergefühle. Sie ist von tiefen Mitleid gepackt. Ihr sitzt der Schock in den Gliedern. Ihre Gefühlswelt ist tief getroffen. Sie muss etwas tun. Ihre Liebe für ihr Kind machte sie zur Kämpferin für ihr Kind. Ihre Liebe für ihr Kind brachte sie sogar soweit, dass sie bereit ist es herzugeben, wenn es nur überlebt. Die andere Frau war mit dem Vorschlag von Salomo einverstanden. Durch die Reaktion identifizierte Salomo die wahre Mutter. Er gab ihr ihr Kind zurück.

Diese wahre Begebenheit verdeutlicht das Wesen Gottes und Handeln uns Menschen gegenüber. Wie diese Mutter ihr Kind liebte und sich dafür einsetzte, dass ihm nichts zustösst, so fühlt auch Gott gegenüber dir. Wenn jemand versucht dich grundlos zu verurteilen oder dir Schaden zufügen will, dann melden sich die Barmherzigkeitsgefühle von Gott. Gott hat diese Gefühle dir gegenüber. Und diese Gefühle lösen sein gnädiges Handeln aus. Es bleibt nicht beim herzzerreisenden Gefühl, sondern mündet in die helfende Tat. So ist Gott. Barmherzig und gnädig. Mitfühlende und helfend. Er liebt unerwartet. Wenn wir uns an Gott wenden, dann wenden wir uns an einen Gott der mitfühlt und sich um uns kümmert. Und wir kommen vor einen Gott der handelt und sich um unsere Situation kümmert.

Nachahmer Gottes

Kommen wir zu Jesus. Viele Jahre nach der Gottesbegegnung von Mose lehrt Jesus die Menschen über Gott. Seine bekannteste Rede ist die sogenannte Bergpredigt. Sie steht im Matthäusevangelium. Im Lukasevangelium steht eine ähnliche, wenn auch deutlich kürzere Version davon bzw. es wird ein anderer Anlass gewesen sein. Dort heisst sie die Feldrede. In dieser Feldrede spricht Jesus über seinen Vater und spielt auf die Gottesbegegnung von Mose am Berg Sinai an: „Werdet barmherzig, so wie euer Vater barmherzig ist! Verurteilt nicht andere, dann wird Gott auch euch nicht verurteilen. Sitzt über niemand zu Gericht, dann wird Gott auch über euch nicht zu Gericht sitzen. Verzeiht, dann wird Gott euch verzeihen. Schenkt, dann wird Gott euch schenken; ja, er wird euch so überreich beschenken, dass ihr gar nicht alles fassen könnt. Darum gebraucht anderen gegenüber ein reichliches Maß; denn Gott wird bei euch dasselbe Maß verwenden (Lk 6,36-38).“ Gott ist barmherzig. Gott hat sich nicht geändert. Sein Wesen ist und bleibt Barmherzigkeit. Wir vertrauen einem Gotte dessen Gefühle von Barmherzigkeit geleitet sind. Er handelt uns gegenüber barmherzig. Das ist eine gute Nachricht. Doch dabei belässt es Jesus nicht. Er bringt Gottes Wesen mit unserem Wesen in Verbindung. Wir sollen Gott nachahmen und deshalb wie er vom Wesen her barmherzig sein. Gott will, dass wir ihm nachfolgen und nachahmen. Die Bibel nennt dies einen Jünger von Jesus zu sein. Ein Jünger lernt aktiv von Jesus und zwar in allen Bereichen des Lebens. Er grenzt bestimmte Aspekte des Lebens nicht aus. Ein Jünger beschäftigt sich immer und immer wieder mit zwei Schlüsselfragen:

(1) Was sagt Jesus?

(2) Was bedeutet das für mich konkret?

Wenden wir das auf die Jahreslosung an. Jesus sagt, dass Gott barmherzig ist und wir auch barmherzig werden sollen. Barmherzigkeit ist was Gott ist und daher soll auch den Jünger Barmherzigkeit ausmachen. Barmherzigkeit ist was Gott ausmacht und daher soll auch in der Gemeinschaft der Christen Barmherzigkeit zu finden sein.

Gezeichnet von Barmherzigkeit

Jesus erwartet von uns Christen, dass wir gekennzeichnet sind durch Barmherzigkeit. Er gibt uns die Aufgabe Gottes barmherzige Art hier auf Erde weiterzuführen und täglich zu demonstrieren. Barmherzigkeit ist der Kern unserer Identität und Mission als Christen. Barmherzigkeit ist nicht einfach ein Wert den wir auch praktizieren, sondern den wir Tag für Tag neu wählen. Wir sehen und begegnen Menschen und Situation durch den Blick eines barmherzigen Menschen.

Wie zeigt sich Barmherzigkeit? Es gibt keine Liste und darum geht es auch nicht. Barmherzigkeit ist eine Herzenshaltung, die wir in den Widrigkeiten dieser Welt versuchen zu zeigen. Jesus selbst gibt im Kontext der Feldrede ein paar treffende Beispiele. Barmherzigkeit verurteilt nicht (Lk 6,37). Barmherzigkeit verzeiht (Lk 6,37). Barmherzigkeit ist grosszügig (Lk 6,38). Barmherzigkeit liebt überraschend und unerwartet. Indem wir Jesus nachahmen und gezeichnet von Barmherzigkeit sind stellen wir Barmherzigkeit über Verurteilung, Vergebung über Hartherzigkeit und Rechthaberei, Offenheit über Ausschluss, Grosszügigkeit über Eifersucht, Annahme und Verständnis über Gemeinheit.

Wir leben in einer ichbezogenen Kultur. Menschen sind gemein zu einander. Menschen verurteilen sich, grenzen aus, mobben und haben recht. Als Christen sollen wir uns nicht von dieser Kultur prägen lassen. Wir sollen Gottes Wesen nachnahmen und überstömende, ungezähmte, unverschämte Barmherzigkeit leben.

Schlussgedanke

Lasst uns erinnern was Jakobus, der Bruder von Jesus, sagte: „Wer selbst kein Erbarmen gehabt hat, über den wird auch Gott erbarmungslos Gericht halten. Wenn aber jemand barmherzig war, dann gilt: Das Erbarmen triumphiert über das Gericht (Jak 2,13).“ Erbarmen triumphiert über Verurteilung! Wir sollten uns das in unsere Seele schreiben. Der Weg Jesus triumphiert! Barmherzigkeit triumphiert und nicht Eifersucht, Rechthaberei, Ichbezogenheit, Gemeinheit. Vielleicht wirst du mir jetzt sagen: “Martin, aber schau noch mal in die Welt. Die Realität sieht anders aus.” Ich weiss. Ich weiss. Barmherzigkeit ist vielerorts eine Schwäche. Wer nachsichtig ist verliert. Doch wenn wir die Welt durch Jesu Augen betrachten, dann triumphiert Barmherzigkeit über Verurteilung. Und jedes Mal, wenn wir selbst erbarmen zeigen anstatt aus Gemeinheit zu reagieren triumphieren wir mit. Deshalb …

wenn du jemanden beschuldigen könntest … sei barmherzig.

wenn du jemanden beschämen könntest … sei barmherzig.

wenn du jemanden kritisieren könntest … sei barmherzig.

wenn du jemanden verurteilen könntest … sei barmherzig.

wenn du mit Jemanden eine Meinungsverschiedenheit hast … sei barmherzig.

wenn du mit Sicherheit im Recht bist … sei barmherzig.

wenn du dich rächen könntest … sei barmherzig.

Beten wir: “Herr erbarme dich meiner” und du wirst sehen wie der Gott der Barmherzigkeit dir Barmherzigkeit schenkt und du wie eine Mutter die um ihr Kind kämpft dich für andere einsetzt – trotz allem. Barmherzigkeit triumphiert in den Gottes Augen immer. Lasst uns dieses Jahr viele Barmherzigkeits-Siege einfahren in dem Wissen, dass Gott uns hilft barmherzig zu werden. Deshalb lasst uns beten: “Herr erbarme dich meiner.”

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  • Aufzählung am Ende ist eine freie Übertragung von mir aus Brian Zahnds Artikel: Mercy in a mean time.
  • Bild von mir aufgenommen in der Kirche des Kloster Fahr

Advent – auf Gottes Eingreifen warten

Gedanken zum Advent

Am 29. November beginnt dieses Jahr die Adventszeit. Im Advent geht es ums Warten. Wir warten auf Jesus. Wir warten auf sein Eingreifen. Damit beginnt der christliche Kalender. Er beginnt nicht mit der Geburt Jesu, sondern mit der Erwartung seiner Geburt. Er beginnt nicht mit einer grossen Feier, sondern mit Warten.

In unserer Gesellschaft sind wir nicht gut im Warten. Wir leben in einer Instant -Gesellschaft. Wir wollen und können Dinge immer schneller bekommen. Warten ist out. Warten gilt als verlorene Zeit. Und Zeit ist ein sehr kostbares Gut. Warten wird als verlorene Zeit gesehen, denn wir machen nichts. Und darauf sind wir nicht besonders stolz. Oder bist du stolz auf dich, weil du heute nichts getan hast? Ich höre in diesem Fall eher eine Entschuldigung. Wir wollen produktiv sein. Wir wollen was erleben und aktiv sein.

Warten ist oft mit Klagen verbunden. Wenn wir warten (müssen), dann beklagen wir uns. Wenn es zu lange an der Kasse geht, dann beschweren wir uns. Dann kommst du nach Hause und sagst in beklagendem Ton, dass es wieder so lange ging. Also ich habe noch nie jemand gehört, der gesagt hat, dass es einem so gut getan hat an der Kassen zu warten, weil es so schön stressfrei war. Endlich mal durchschnaufen und einfach rumstehen. Wie schön! Nein, warten macht uns eher unglücklich.

Dasselbe gilt auch für unser geistliches Leben. Wenn wir auf Gott warten dann meistens weil wir mit der aktuellen Situation unzufrieden sind. Wir benötigen Gottes Reden oder Eingreifen. Deshalb wenden wir uns an ihn und erwarten sein Eingreifen. Wenn das auf sich warten lässt, dann stellen wir uns Fragen über Gott. Auf Gott warten ist mit Klagen verbunden. Oder wartest du gerade auf Gott, weil es dir so gut geht?

Ich kritisiere die Verbindung zwischen Warten und Klage überhaupt nicht. Sie ist natürlich. Wenn eine Situation schlimm oder schwierig ist, dann wenden wir uns natürlich an Gott. Wir klagen ihm unser Leid. Und wir warten auf sein Eingreifen. Dieses Warten fühlt sich oft nicht gut an. Es ist eine schwere Zeit. Doch im Warten passiert etwas. Gott offenbart sich gerade im Warten, doch dafür müssen wir innerlich zur Ruhe kommen und uns auf ihn ausrichten. Dann können wir erfahren, dass Gott sich im Warten zeigt und wir durch die Begegnung mit ihm verwandelt werden. Wenn wir in einer guten Weise warten, kann unsere Seele zur Ruhe kommen. Wenn unsere Seele zur Ruhe gekommen ist, können wir ein stärkeres Bewusstsein bekommen dafür was Gott gerade tut.

Gott ist übrigens immer am Wirken. Gott ist nie tatenlos. Er liebt konstant. Er hört nie auf zu lieben. Doch uns ist das nicht immer bewusst. Sorgen können unseren Blick auf den liebenden Gott verstellen. Wenn wir voll sind von Angst, Ärger, Unsicherheit und Ungeduld sind wir wie blind für das Wirken Gottes im hier und jetzt.

Im Advent geht es ums Warten. Wir warten auf Jesus. Warten ist eine wichtige geistliche Disziplin. Ich wünsche euch viele gute, reinigende Erfahrungen damit.

Aufgefahren, nicht abgefahren – Über die Bedeutung von Christi Himmelfahrt

Die Himmelfahrt Jesu bzw. Christ Himmelfahrt ist wahrscheinlich der am meisten übersehene Tag im christlichen Kalender. Er ist bei uns sogar noch ein Feiertag, doch schon längst in der Bedeutung zum Vatertag umgewandelt. In der westlichen Welt sind Weihnachten und Ostern sehr präsent, wenn auch stark kommerzialisiert. Karfreitag und Pfingsten sind noch bedeutende christliche Festtage, die auch in den christlichen Gemeinden gefeiert werden. Doch Christi Himmelfahrt ist fast ganz verlorenen gegangen. Warum? – vielleicht weil wir die Bedeutung von der Himmelfahrt Jesu verloren haben. Das ist bitter, denn ohne die Himmelfahrt Jesu sind das Evangelium und die Geschichte von Jesus unvollständig. Die Geschichte von Jesus ist: Inkarnation, Verkündigung und Errichtung des Reiches Gottes, Kreuzigung, Auferstehung und Himmelfahrt. Wenn wir also die Himmelfahrt weglassen, übersehen wir das Ende. Die Geschichte von Jesus endet eben nicht mit der Auferstehung, sondern geht weiter mit der Himmelfahrt. Ohne die Himmelfahrt ist die Auferstehung unvollständig. Es würde den Sieg über den Tod demonstrieren, ohne die Erhöhung von Jesus zu implizieren. Das Ereignis der Himmelfahrt hat daher eine zentrale theologische Bedeutung.

Christ Himmelfahrt kommt 40 Tage nach Ostern. Das Kirchenjahr ist eingeführt worden um die Geschichte des Evangeliums von Advent bis Pfingsten zu erzählen. Dass Christi Himmelfahrt weitestgehend übersehen wird hängt vielleicht an dem Ereignis an sich. Es war ein komischer, abgefahrener Vorgang durch den Jesus nach seiner Auferstehung in den Himmel geholt wurde. Plötzlich war Jesus weg und liess verdutzte Jünger zurück! Dort im Himmel hält er ich mit Gott sich auf bis er denn wiederkommt.

Doch Christ Himmelfahrt handelt nicht vor der Abwesenheit Jesu, sondern von der Herrschaft Jesu. Die Aufnahme Jesu in den Himmel, wo er zur Rechten Gottes Platz genommen hat, ist sein Aufstieg, seine Beförderung, seine Wahl in eine Position, die ihm alle Autorität über den Himmel und die Erde gibt. Der Platz zur Rechten Gottes ist ein poetisches Bild mit dem ausgesagt wird, dass Gott jetzt Jesus alle Autorität im Himmel und auf Erden gegeben hat. Die Himmelfahrt führt nicht zur Abwesenheit Gottes, sondern zu seiner globalen, kosmischen Präsenz. Deshalb sagt der auferstandene Christus zu seinen Jüngern: Ich bin bei euch bis an die Enden der Erde (Mt 28,20). Es gibt keinen Ort auf der Erde an dem Jesus nicht ist und es gibt keine Macht, über die er nicht Herr ist.

Das bedeutet im Kern die Himmelfahrt Jesu. Doch das ist nicht das Verständnis viele Christen. Und das hat einen Einfluss auf ihre Theologie. Wenn wir nämlich die Geschichte Jesu schliessen indem wir sagen: und Jesus ging in den Himmel (deshalb ist er nicht mehr hier auf der Erde), aber irgendwann wird er wieder zurückkommen und dann seine Herrschaft aufrichten … dann spüren wir eine grössere Freiheit die Welt zu gestalten nach unseren Vorstellungen, weil Jesus abwesend ist. Diese Sicht degradiert Jesus vom ewigen Herrn der Welt, der zur Rechten Gottes sitzt und dem alle Macht und Autorität gegeben wurde, zu einem gekrönten Herrscher im Exil. Wir sehen Jesus dann nicht als einen der aktuell regiert und der seine Herrschaft angetreten ist und wir diese repräsentieren. Wir brauchen dann andere Herrscher. Doch die Himmelfahrt bedeutet nicht die Abwesenheit Gottes, sondern die Erhöhung! Jesus ist Herr. Jetzt. Nicht Jesus, der gerne Herr wäre. Nicht Jesus, der irgendwann Herr sein wird, sondern König Jesus und Herr der Herren jetzt und hier!

Die Könige dieser Welt bzw. die Regierungen dieser Erde sollten Jesus und seine Gebote nicht einfach ignorieren. Die Regierungen dieser Erde sollten sich vielmehr unter die Herrschaft Jesu stellen. Die Rolle der Kirche ist es ein prophetisches Zeugnis der Herrschaft Jesu zu sein, der mit Liebe, Frieden, Barmherzigkeit und Gerechtigkeit regiert. Die Kirche fordert die Könige der Welt auf gemäss der Wege und Gesetze Jesu zu regieren. Sie sollen die Armen und Schwachen schützen. Die Kirche darf sich nicht von den Regierungen missbrauchen lassen oder sich ihnen unterwerfen, damit sie im Gegenzug etwas von ihnen bekommt. Nein, sie bezeugen Jesus Christus als Herrn der Herren. Damit sie das kann, muss sie zuerst der Überzeugung sein, dass Jesus der Herr der Welt ist im hier und jetzt. Davon gingen die ersten Christen aus. Sie lassen Psalm 2,10-12 als Bild für Jesus:

Darum nehmt Vernunft an, ihr Könige;

lasst euch warnen, ihr Mächtigen der Erde!

Unterwerft euch dem Herrn,

zittert vor ihm und jubelt ihm zu!

Huldigt seinem Sohn!

Sonst wird er unwillig

und es ist um euch geschehen;

denn sein Zorn ist schnell entflammt.

Wohl allen, die bei ihm Schutz suchen! 

Und im apostolischen Glaubensbekenntnis bekennen wir:

aufgefahren in den Himmel; er sitzt zur Rechten Gottes,des allmächtigen Vaters; von dort wird er kommen, zu richten die Lebenden und die Toten.

Wenn wir davon sprechen, dass Jesus wiederkommen wird, dann sollten wir nicht denken, dass Jesus seinen Aufenthaltsort wechselt, sondern dass er erscheint. Wenn Jesus wiederkommt (griech. Parousia), wird der Vorhang gelüftet und was schon immer Realität war, wird offenbart werden. Es ist der Zeitpunkt des Gerichtes; der Zeitpunkt, wenn offenbart wird wie wir unter der Herrschaft Jesu gelebt haben. Die Wiederkunft Jesu ist nicht der Beginn der Herrschaft Gottes, sondern der Zeitpunkt des Gerichts. Es wird beurteilt wie treu wir dem König Jesus gedient und gehorcht haben.

Aschermittwoch

Heute ist Aschermittwoch. Mit Aschermittwoch beginnt die vierzigtägige Fastenzeit, die uns direkt zu Ostern führt. Die Fastenzeit ist eine Gelegenheit die Reise von Jesus in den Tod nachzuempfinden. Es ist eine Zeit in der wir unser Leben an der Geschichte von Jesus ausrichten können. Die Bezeichnung für Aschermittwoch kommt von einen Brauch, an diesem Tag im Gottesdienst den Gläubigen aus Asche ein Kreuz auf die Stirn zu zeichnen. Was soll diese alte, christliche Glaubenspraxis?

Die Asche ist ein Bild für zwei Sachen: Busse (Umkehr) und Vergänglichkeit. Das sind die beiden thematischen Aspekte von Aschermittwoch.

Vergänglichkeit

Wir als Menschen sind vergänglich. Wir wurden aus Staub und Asche gemacht und werden wieder zu Staub und Asche.

Zum Menschen sagt Gott: Viel Schweiß musst du vergießen, um dein tägliches Brot zu bekommen, bis du zurückkehrst zur Erde, von der du genommen bist. Ja, Staub bist du, und zu Staub musst du wieder werden!« (1Mose 3,19)

Abraham sagte zu Gott: “Ich habe es gewagt, dir dreinzureden, Herr, obwohl ich Staub und Asche bin.“ (1Mose 18,27)

Busse

Busse heisst Umkehr (griechisch μετάνοια metánoia, wörtlich etwa „Umdenken, Sinnesänderung, Umkehr des Denkens“). Die Bibel spricht an mehreren Stellen davon Busse zu tun in „Sack und Asche“. In der deutschen Sprache gibt es diese Formulierung als Redewendung. Anstatt jemand anderen die Schuld zu geben oder andere Ausreden zu finden, soll lieber über die eigene Unzulänglichkeit getrauet werden. Gerne wird diese Redewendung im Sport gebraucht. Anstatt schimpfend den Platz zu verlassen und die Schuld beim Schiedsrichter zu suchen, soll die Mannschaft eher um die erneute Niederlage trauern müssen.

Jesus spricht davon in Sack und Asche Busse zu tun: „Dann begann Jesus mit harten Worten über die Orte zu sprechen, in denen er die meisten Wunder getan hatte und die Menschen hatten sich doch nicht geändert: »Weh dir, Chorazin! Weh dir, Betsaida! Wenn in Tyrus und Sidon die Wunder geschehen wären, die bei euch geschehen sind, die Leute dort hätten schon längst den Sack umgebunden, sich Asche auf den Kopf gestreut und ihr Leben geändert.“ (Mt 11,20-21)

Hiob sagte: „Ich schäme mich für alles, was ich sagte; in Staub und Asche nehm ich es zurück.“ (Hiob 42,6)

Der König von Ninive reagiert auf die Botschaft von Jona: „Jonas Botschaft war nämlich dem König von Ninive gemeldet worden. Der stieg von seinem Thron, legte den Königsmantel ab, zog den Sack an und setzte sich in die Asche.“ (Jona 3,6)

Angesichts der Vergänglichkeit des Lebens Busse tun

Eine trauernde und bussfertige Person zog sich zum Zeichen ihrer inneren Gefühlslage einen Sack über und streute Asche über seinen Kopf und lief damit öffentlich herum. Wir machen so etwas heutzutage nicht mehr. Warum eigentlich?

Die Asche der bussferigen Person erinnert uns an die menschliche Vergänglichkeit. Vieles ist unsicher im Leben – was aber fest steht ist, dass wir sterben werden. Ein unbehaglicher Gedanke vor dem wir uns gerne drücken. Doch wir sollten uns dessen eher vergewissern. Die Bibel nennt das Klugheit. Der Psalmist sagt: „Gott, lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden.“ (Psalm 90,12) Er bittet Gott mit diesen Worten ihn das Bedenken seines Todes zu lehren. Es wird deutlich, dass wir das lernen müssen. Aschermittwoch will eine Lernhilfe dafür sein. Es ist ein Tag an dem wir uns an unsere Vergänglichkeit erinnern und fragen: Wie will ich leben im Angesicht meiner Vergänglichkeit? Was zählt? Wie will Gott, dass ich lebe? Und wo muss ich Busse tun, weil mein Lebensstil und meine Lebensausrichtung nicht Gottes Willen entsprechen? Dazu will uns Aschermittwoch führen. Das Nachdenken über die eigene Vergänglichkeit führt in die Busse (Umkehr) vor Gott.

Das Kreuz aus Asche

Um das auszudrücken hat sich die Tradition des Aschenkreuzes entwickelt. Das Aschenkreuz wird entweder in Form eines Kreuzes auf das Haupt gestreut oder auf die Stirn gezeichnet. Mit dem Empfang des Aschenkreuzes soll der Mensch an seine Vergänglichkeit erinnert und zur Umkehr aufgerufen werden. Indem das Aschenkreuz empfangen wird identifiziert sich der Gläubige mit dem Kreuz Jesu. Er musste ebenfalls sterben und tat das für uns. Und er bezeugt sich nicht für die klugmachende Botschaft Jesu zu schämen. Er will ihm folgen bis in den Tod. Das wird nicht sein Ende sein, denn Jesus wird ihm das ewige Leben schenken und er wird wie Jesus von den Toten auferstehen.

Leben mit dem Kirchenjahr

Meine Zeiteinteilung

Wie soll ich meine Zeit einteilen? Welche Prioritäten setze ich? Was bekommt wie viel Gewicht? Diese Fragen kommen mir während ich über meinem Terminkalender für das nächste Jahr sitze. Es ist Zeit für die Jahresplanung.

Wenn wir ehrlich sind, dann ist unser Leben stark von den jährlichen Urlaubszeiten geprägt. Im Winter geht es in die Sportferien. Im Sommer machen wir eine kurze Sommerpause. Im Herbst geht es zwei Wochen in den Süden. Zwischen Weihnachten und Neujahr ist Zeit die Familie zu besuchen. Dazwischen verdienen wir u. a. das Geld, um uns eben diesen jährlichen Rhythmus zu finanzieren. Und wir feiern Feste z. B. am 1. August die Schweiz mit Fondue, einem Glas Wein und Feuerwerk. Bei mir kommen noch sportliche Grosveranstaltungen hinzu, die ihren festen Platz bekommen. Dies gibt einen kleinen Einblick wem ich Bedeutung schenke.

Jeder Mensch gibt der Zeit Bedeutung und erzählt damit eine Geschichte. Welche Geschichte der Mensch letztlich erzählt definiert ihn und erklärt wer er ist. Wenn du am Abend des 1. August ein grosses Feuerwerk erwartet bist du wohl ein Schweizer. Wenn du am 3. Oktober frei hast lebst du in Deutschland. Wenn du am 11.11 eine Minute schweigst befindest du dich in England usw. Die Bedeutung der Zeit zeigt sich auch am Jahreskalender.

Der Jahreskalender schafft Kultur

Der griechische Kalender erzählt die Geschichte der Griechen.

Der römische Kalender erzählt die Geschichte der Römer.

Der jüdische Kalender erzählt die Geschichte der Juden.

Der islamische Kalender erzählt die Geschichte der Moslems.

Der christliche Kalender erzählt die Geschichte von Jesus.

Der säkulare Kalender erzählt dagegen, dass es keine verbindliche Geschichte gibt – ausser etwas Politik und viel Kommerz (oder anders herum).

Welcher Kalender prägt dich?

Vor 2000 Jahren hatte die Kirche die Weisheit die Zeit mit der Geschichte von Jesus zu verbinden. Das Kirchenjahr wurde kreiert. Der Advent wartet auf die Wiederkunft Jesu. Weihnachten feiert die Geburt Jesu. Epiphanias betont die Erscheinung Gottes im Leben und Wirken Jesu offenbart wurde. Die Passionszeit erinnert uns an den Weg Jesu ans Kreuz. Ostern ist die Feier seiner Auferstehung. Pfingsten markiert die Erfüllung mit den Heiligen Geist und die Geburt der Kirche. Und schliesslich die gewöhnliche Zeit, die uns durch den Rest des Jahres bis in den Advent begleitet.

Welcher Kalender prägt dich? Ich will mich dem säkularen Blick auf das Jahr nicht ganz hingeben. Zumindest etwas Widerstand leisten würde mir und uns gut tun. Ich will, dass mein Leben – meine Zeit – durch die Geschichte von Jesus geformt wird und nicht durch die Säkularisierung. Um gegen den Strom unserer Zeit zu schwimmen müssen wir zur kirchlichen Tradition des Kirchenjahrs zurückkehren. Für mich ist er zu einer Art Rebellion gegen die Kultur unserer Zeit geworden. Wer rebelliert mit?

«Ich bin ein introvertierter Pfarrer»

Sind Sie ein ruhiger, nach innen gekehrter Typ? Dies ist Ihre Chance!

Kennen Sie das Gefühl, dass Ihre Persönlichkeit Ihnen in bestimmten Situationen im Weg steht? In bestimmten Momenten hätten Sie s einfacher, wenn Sie nur anders «gestrickt» wären. Ich kenne solche Gedanken. Ich bin introvertiert. Für die Arbeit als Pfarrer ist das nicht immer hilfreich – so zumindest fühlte sich das für mich lange an.

Nach innen gewandt
Der Introvertiertheit steht die Extrovertiertheit gegenüber. Introvertiert bedeutet wörtlich «nach innen gewandt», während extrovertiert «nach aussen gewandt» meint. Der Unterschied zwischen beiden Persönlichkeitsmerkmalen liegt im Kopf. Während der Introvertierte sein Leben überwiegend innerlich bewältigt, trägt der Extrovertierte sein Herz auf der Zunge. Er lässt das Umfeld an seinem Innenleben teilhaben, wogegen der Introvertierte für sich im Vorborgenen nachdenkt. Daher werden Extrovertierte als gesellig, offen und abenteuerlustig wahrgenommen, Introvertierte als ruhig, in sich gekehrt und etwas geheimnisvoll – und deshalb auch schwerer einzuordnen.

Abtauchen
Frei auf Leute zugehen, sie mit seiner offenen Art begeistern und mitziehen – das ist es doch,  was es als Pfarrer braucht? Bestimmt viel mehr als den stillen, tiefsinnigen und scheinbar unbeteiligten Denker?

Debora Sommer vergleicht in ihrem Buch «Die leisen Weltveränderer» Introvertierte mit einem U-Boot. Sie tauchen gerne ab und fühlen sich in der Einsamkeit der Meerestiefe wohl. Extrovertierte können mit einem Schiff verglichen werden. Ihr Leben findet gut sichtbar auf der Wasseroberfläche statt. Dort haben sie den Überblick und können mit anderen Schiffen Kontakt aufnehmen.

Kloster statt Konferenz

Ich gleiche einem solchen U-Boot. Ich brauche den Rückzug. In einer Gruppe bin ich unbeteiligt. Ich kann mir sehr, sehr viele Gedanken machen, bin zögerlich, selbstkritisch, zweifelnd, überfordert unter Druck. Ich lasse mir Zeit mit Entscheidungen. Hadernd bewege ich mich hin und her, um langsam vorwärts zu gehen. Ich werde leicht übersehen – weil ich nicht laut genug bin. Ich gehe nicht gerne auf Konferenzen – viel lieber bin ich im Kloster. Nach einer Konferenz habe ich kein Tief, sondern ein Hoch, denn ich bin endlich wieder für mich. Bestimmte offensive Formen von Evangelisation lösen in mir eine Defensivhaltung aus. So bin ich – und daher schreibe ich den Artikel, wie ich ihn schreibe: auf introvertierte Art.

Kreativer Querdenker

Doch zeichnet mich meine Art aus. Ich bin ein tiefgründiger Mensch. Wenn ich etwas sage, hat es Substanz. Ich gebe mich nicht mit der erstbesten Antwort zufrieden. Ich bin ein aufmerksamer Beobachter. Ich habe eine aussergewöhnliche Vorstellungskraft, die mir hilft, kreativ und quer zu denken. Ich bin behutsam, sensibel und beharrlich. Ich kann den Ruhetag ruhig begehen. Ich trage die grosse Sehnsucht nach Tiefe in der Gottesbeziehung in mir. Ich bin belesen und bilde mich fort. Ich kann Marathon. Wenn ich so darüber nachdenke, muss ich erkennen: Introversion ist keine Unzulänglichkeit. Es ist auch kein Mangel, sondern –bei gesundem Umgang – meine Stärke, auch und gerade als Pfarrer.

Als Pfarrer habe ich eine Rolle auszufüllen mit sehr viel sozialer Interaktion. Teils herausfordernd und gleichzeitig fordert es mich auf gute Weise heraus, mich zu zeigen und sichtbar zu werden. Und dann bekomme ich erstaunte Kommentare: «Was, du bist richtig leidenschaftlich, wenn du predigst! Das hätte ich dir gar nicht zugetraut.» Daher, liebe Menschheit: «Unterschätzt mich nicht. Ich bin ein Weltveränderer – ein leiser Weltveränderer!»

Dieser Artikel wurde in der Ausgabe 10/2019 von Wort+Wärch abgedruckt.

Warum «ticken» Menschen so verschieden?

Die Basismentalitäten prämodern, modern, postmodern haben ihre Bedeutung für die Gemeindearbeit.

Vor kurzem Vater geworden, mache ich mir Gedanken, in welche Welt hinein unser Kind geboren ist. Unweigerlich vergleiche ich sie mit der Welt meiner Geburt und der meiner Eltern und Grosseltern. Rasante Veränderungen! Die Welt ist ein Dorf geworden, stark vernetzt und hochtechnologisiert. Wir leben in einer Multioptionsgesellschaft. Das prägt unser Denken. Aber nicht alle kommen gleich mit und wollen mit der Zeit denken.

Heinzpeter Hempelmann beschreibt in seinem gleichnamigen Buch drei in unserer Gesellschaft vorkommende Basismentalitäten: prämodern, modern und postmodern. Die Begriffe sind weder wertend noch klar abgrenzend. Sie sollen helfen, den Anderen besser zu verstehen, uns quasi einen «Reim» auf ihn zu machen.

Drei Blickrichtungen

  • Die prämoderne Mentalität ist vor allem traditionsbewusst. Das Frühere ist das Ursprüngliche und damit das Unverfälschte, Richtige und Gute. Der Blick ist in die Vergangenheit gerichtet mit einem Hang zum Absoluten.
  • Die moderne Mentalität ist die Haltung der kritischen Rationalität. Die gegenwärtigen Verhältnisse werden logisch analysiert, um sie zu verbessern.
  • Die postmoderne Mentalität ist bunt, vielfältig und pluralistisch. Jeder darf und soll auf seine Weise glücklich werden, ohne jemandem zu schaden. Um das zu erreichen, denkt er konsequent relativistisch und gibt verbindliche Sicherheiten auf.

Wenden wir die drei Mentalitäten auf das Verständnis von Kirche und Gemeinde an. Für den prämodern denkenden Menschen ist Kirche Heimat und gibt Sicherheit. In ihr wird die unveränderliche Wahrheit bewahrt und nicht dem Zeitgeist unterworfen. Der liturgische Gottesdienst hat sich bewährt und soll bleiben. Es muss darin nicht alles verstanden werden, denn der heilige Gott soll ein Geheimnis bleiben. Viel wichtiger ist, dass die unveränderbare Herrlichkeit Gottes würdevoll gefeiert wird. Dafür zu sorgen hat die Pfarrperson, der Vertrauen zu schenken ist.

Mit der Zeit gehen

Für den modern denkenden Menschen ist Kirche dagegen ein Ort, für den er sich bewusst entschieden hat. Von ihr erwartet er einen ansprechenden, frischen Gottesdienst, die Möglichkeit von interessenabhängiger Mitarbeit und gesellschaftliches Engagement. Dabei muss Kirche «mit der Zeit gehen» und neue Elemente und Formate in das Bewährte einbauen. Die Pfarrperson ist Impulsgeber und steht auf derselben Ebene wie die Gemeindemitglieder.

Beständig ist der Wandel

Für den postmodern denkenden Menschen ist das einzig Beständige der Wandel. Wechselnde Orte, an denen er sich wohlfühlt, sind ihm Kirche. Das kann gerne eine alte Kathedrale sein, aber auch ein Wohnzimmer oder eine Kneipe. Kirche ist für ihn Kirche, wenn sie sich seiner Lebenslage anpasst. Gottesdienst ist dann spannend, wenn er darin vorkommt, einbezogen wird und der Ablauf Optionen bietet. Postmoderne wollen nicht einfach eine halbe Stunde einer Pfarrperson zuhören, sondern sehen ihn als Moderator, der den Dialog leitet und sinnlich erlebbare Handlungen durchführt.

Wie gehen wir nun mit diesen Unterschieden um? Wir sollten anerkennen, dass keine dieser drei Mentalitäten die allein wahre ist. Sie transportieren alle etwas vom Evangelium. Sie sind alle begrenzt, aber begrenzt berechtigt. Daher sollten wir andere Mentalitäten nicht ausgrenzen, sondern versuchen, von ihnen zu lernen. Sie können uns einen neuen Zugang zu Kirche schenken und den eigenen Horizont erweitern.

Dieser Artikel wurde in der Ausgabe 6/2019 von Wort+Wärch abgedruckt.

Gottesdienst in der Antike

„Jesus Christus ist der Herr!“ Wie feierten die ersten Menschen, die dies bekannten, miteinander Gottesdienst?

Um diese Frage zu beantworten, werden zuerst ein paar grundsätzliche Aspekte erwähnt und danach die Elemente des Gottesdienstes beschrieben. Vieles wissen wir nicht. Zur Beantwortung der Frage helfen Schriften von Kirchenvätern wie Justin und Tertullian.

  • Die Teilnahme an den Gottesdiensten der frühen Kirche (1. bis 3. Jahrhundert) war nur den Getauften gestattet. Ausnahmen waren die Kinder der Getauften und in Einzelfällen auch Teilnehmende der Glaubensgrundkurse, die als Taufvorbereitung dienten. In ihnen wurden den Taufanwärtern die Grundlagen des christlichen Glaubens gelehrt und die grundlegende ethische Praxis eingeübt. Die Gottesdienste waren damit Insider- Während bei uns ein Begrüssungsteam die Gottesdienstbesucher willkommen heisst, stellte die frühe Kirche Türsteher an. Das war auch eine Konsequenz aus der Verfolgungssituation.
  • Öffentliche Versammlungen verschwanden in der nachapostolischen Zeit ganz. Die Gemeinde traf sich in privaten Unterkünften, die möglichst geheim gehalten wurden.
  • Die wöchentlichen Gottesdienste fanden erst am Samstagabend statt. Ab dem zweiten Jahrhundert trafen sich die Christen vermehrt am Sonntagmorgen vor dem Sonnenaufgang. Da der Sonntag kein freier Arbeitstag war, bestand ein gewisser Zeitdruck. Dadurch bekamen die Gottesdienste eine striktere Struktur und waren weniger gemeinschaftlich.

Folgende Elemente gehörten für die Kirche im Römerreich zu einem Gottesdienst:

Predigt: Der Schriftlesung folgte eine Auslegung des Bibelwortes mit praktischer Anwendung für den Alltag. Die Versammlung konnte den Predigenden Fragen stellen; so kam es zu einem Dialog. Ziel der Predigten war weniger die theoretische Erkenntnis, als dass die Worte das tägliche Leben formten. Die biblischen Anweisungen sollten imitiert und so das Leben der Gläubigen verändert werden. Dies wird aus den wenigen Predigten der Kirchenväter deutlich, die uns aus jener Zeit überliefert sind. Wenn Origenes als Massstab genommen wird, könnte eine Auslegung zwischen sechs und fünfzehn Minuten gedauert haben.

Gemeinsames Gebet: Die Versammelten erhoben sich nach der Predigt für eine gemeinsame Gebetszeit. In Gruppen oder einzeln brachten sie mit kräftiger Stimme Gebetsanliegen vor Gott. Gebete wurden spontan gesprochen und auch vorformulierte Gebete genutzt, wie das Unser Vater und Bekenntnisse. Gebet trug zur Einheit der Versammlung bei. Ob arm oder reich, alle beteten beieinanderstehend zu Gott und erflehten sein rettendes Eingreifen. Gebet diente dazu, die Gläubigen zu formen, damit sie mutig ihren Glauben leben konnten. Um gemeinsam beten zu können, sollten die Gläubigen miteinander versöhnt sein. Dazu diente der Bruderkuss.

Bruderkuss: Er schloss die Gebetszeit ab und leitete zum Abendmahl über. Der Kuss wurde aus der Umwelt des römischen Reiches übernommen, in der er ein Zeichen der Status- und Klassengesellschaft war, und man gab ihm eine neue Bedeutung. Er stand für Einheit, Versöhnung und Frieden und war damit ein Zeichen der gegenseitigen gleichwertigen Identifikation und Annahme.

Abendmahl: Zum Abschluss des Gottesdienstes wurde das Abendmahl gefeiert. Die Einsetzung geschah spontan und improvisiert durch den Leitenden, während die Versammlung auf die gestellten Fragen enthusiastisch mit Amen antwortete. Die Diakone verteilten gleichmässige Portionen auf alle Anwesenden und brachten anschliessend den Abwesenden ihren Anteil nach Hause.

Mit der Anerkennung des Christentums durch Kaiser Konstantin begann eine andere Zeit.

Dieser Artikel wurde in der Ausgabe 5/2019 von Wort+Wärch abgedruckt.